Drachenkaiser
betrachtete die Fassade des Officiums einmal mehr vom Café aus.
Es kam ihr vor, als habe die Zerstörung noch weiter um sich gegriffen. Weitere rußige Mauerteile waren trotz der Stützen zusammengebrochen oder abgerissen worden. Arbeiter errichteten zum Schutz der Passanten einen Bretterzaun, hinter dem zumindest ein Teil des ramponierten, geschändeten Bauwerks verschwand.
£5 bröckelt und zerfällt. Silena verstand dies als Zeichen für den Niedergang des Officiums. Aber unterschätzen würde sie die Organisation nicht. Immerhin hatte es genügend Macht besessen, den Abschuss des Zeppelins und die Entführung ihres Mannes in die Wege zu leiten. Sie würde Brieuc zum Reden bringen, auf welche Weise auch immer. Ihr Telefonat mit der britischen Detektei hatte nichts Neues erbracht.
Die ersten Töne der herrlichen Arie von Klein Zack aus der Oper Hoffmanns Erzählungen kämpfte sich durch das Klappern von Besteck und Geschirr um sie herum und brachte sie dazu, der Stimme des Tenors zu lauschen. Die Musik kam aus dem neuen Radioempfangsgerät und übertrug das Spiel der Münchner Symphoniker zu den Gästen.
Silena mochte das Lied über den sonderbaren Kerl. Es war einmal am Hof von Eisenack, ein missgestalteter Zwerg, der hieß Klein Zack, sang sie in Gedanken mit, die Augen noch immer auf den entstehenden Bretterzaun gerichtet.
Die Ablenkung hielt nur eine kleine Weile. Ob Brieuc kommt? Es gelang ihr nicht, die Aufregung in den Griff zu bekommen. Die Silbermünze wanderte mit einer bislang unerreichten Geschwindigkeit über ihre Fingerknöchel hinweg und flirrte dabei hektisch. Das Edelmetall war angelaufen, sie hatte keine Zeit gehabt, das Andenken an ihren verstorbenen Bruder zu polieren. Nicht auszudenken, wenn sie sich auch noch Memorabilien für Grigorij zulegen müsste. Das wollte sie auf keinen Fall. Sie war nicht bereit, weitere Verluste an geliebten Menschen hinzunehmen.
»Er hatte einen Buckel statt eines Bauches, statt eines Bauches. Seine dünnen Beine kamen wie aus einem Sack, wie aus einem Sack«, sang der Tenor sich in ihre Gedanken.
Silena lehnte sich zurück, sah auf den Eingang des Cafes. In ihrer Sorge hatte sie verschiedenste Strategien für das Gespräch mit dem Großmeister ersonnen und immer wieder verworfen. Was mache ich denn, wenn er nicht kommt? Hilflosigkeit pirschte sich an sie heran. Um sich selbst Mut zu machen, legte sie eine Hand an den Griff der Luger. Irgendjemand vom Officium wird mir Auskünfte geben! Wie auch immer ich es anstellen muss.
Gebäckgeruch stieg ihr in die Nase. Marie hatte ihr vor geraumer Zeit Tee und frisch gebackene Kekse gebracht, was sie vor lauter Grübeln verdrängt hatte.
Sie senkte den Blick auf die Zeitung vor ihr, die vor weiter steigenden Arbeitslosenzahlen warnte. Sie las, dass im Verlauf einer Woche die Zahl der Arbeitslosen um neuntausend Menschen in die Höhe geschnellt war. Von den etwa achtundvierzigtausend beim Münchner Arbeitsamt registrierten Arbeitssuchenden erhielten etwa dreiunddreißigtausend Unterstützung. Und die Lage verschlechterte sich weiter. Überall deprimierende Aussichten.
Sie schob das Blatt etwas zur Seite. Unter der Zeitung lag der Aktenauszug aus dem Officium verborgen, in dem es um die allgemeine Spezies der asiatischen Drachen ging. Allerdings, das hatte sie zu spät bemerkt, war es nur ein kleiner Teil einer größeren Untersuchung. Der Rest lagerte noch im Officium.
Silena hatte sich vorher nicht mit diesen Exemplaren beschäftigt, da sie sich außerhalb ihres Einsatzgebietes aufhielten. Da die Lungs, wie sie in China genannt wurden, nun aber zu ihnen kamen, musste sie sich in ihren wenigen freien Minuten fortbilden. Mit Brieuc würde sie spontan sprechen.
»Seine Nase war schwarz vom Tabak, und sein Kopf machte krick-krack!«, schmetterte es beherzt aus dem Empfänger. »Das war Klein Zack! Krick-krack! Krick-krack! Das war Klein Zack!«
Silena sah die Szene vor sich, wie der Sänger über die Bühne fegte und den Zwerg schilderte. Ich werde mit Grigorij in Hoffmanns Erzählungen gehen, beschloss sie und widmete sich der Akte.
Kapitel II: Allgemeine Anmerkungen
Der asiatische Drache, Lung genannt, vereint verschiedene Eigenschaften anderer Tiere in sich, was manche Exemplare grotesk wirken lässt; einige wiederum sehen wie unsere Drachen aus.
Je nach Land hausen im asiatischen Raum Geschuppte mit einer unterschiedlichen Anzahl von Krallen. Je mehr ein Drache davon besitzt, desto mächtiger ist er. Farbe
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