Drachenkaiser
Grund, aus dem du die Grachten in aller Heimlichkeit auf fast zehn Meter Tiefe hast ausbaggern lassen?«, setzte er liebenswürdig hinzu. »Du möchtest aus dem beschauliehen Amsterdam ein zweites Rotterdam machen und damit mich, die Einwohner und alle Besucher überraschen?« Sein Tonfall wurde böse. »Wer baut keilförmige Handelsschiffe, die so klein sind und einen solchen Tiefgang hätten? Was sollte das?«
Das flache Ende von Florins Schwanz bewegte sich leicht und verriet seine Unruhe. Der Wasserdrache suchte nach Ausflüchten. »Die Kanäle sind rasch voller Schlick, Altvorderer. Das Wasser wird einmal die Woche ausgetauscht, damit es nicht zu stinken anfängt, und dabei fällt viel Sediment an. Die zehn
Meter sorgen nur dafür, dass es bis zur nächsten Ausschachtung länger dauert.«
Vouivre begutachtete die Statur seines Statthalters. »Sollte der wahre Grund sein, dass du gewachsen bist, guter Florin? An Umfang und Länge? Dir geht es in Amsterdam zu gut.«
»Ich bin jung, ja, und daher wachse ich noch, Altvorderer. Es ist kein Verbrechen. Die Dinge kommen sich ganz gut entgegen.« Florin rutschte langsam rückwärts, zum Kanal hin.
Kalt wie ein Fisch, huschte es durch Vouivres Gedanken, und er folgte ihm. Eine Flucht würde er nicht zulassen. »Schön. Es mag angehen, dass du dir Eigenheiten herausnimmst, die in unser beider Interesse sind. Aber frage mich in Zukunft.« Das rote Karfunkelauge glomm drohend. »Nun aber zu einer unschönen Geschichte. Ich gebe dir die Möglichkeit, dich zu erklären. Solltest du es mit einer Lüge versuchen, warst du die längste Zeit mein Statthalter.«
»Altvorderer, ich verstehe nicht.« Der Kanal war fünf Meter entfernt.
»Stell dich nicht dumm!« Vouivres Stimme krachte donnergleich. »Du hast meinen guten De Bercy losgeschickt, nach York, wie ich inzwischen erfahren habe. Von dort kehrte er niemals mehr zurück. De Bercy war einer meiner hervorragendsten Agenten mit den besten Kontakten in die Herrschaffshäuser des französischen Königreichs.«
Florin kroch weiter zurück. »Davon weiß ich nichts.«
»Lügner!«, zischelte der Altvordere. »Du besitzt die unverzeihliche Frechheit und lügst mich an?« Er näherte sich dem Wasserdrachen. »Meine Spitzel berichteten, dass De Bercy eine Frau treffen wollte und sie auch getroffen hat: Ealwhina Snickelway, ein Medium und eine Finderin.«
»Nein! Ich habe De Bercy nicht…«
»In seinem Auftrag ist sie nach Russland gereist, an den Triglav, und hat etwas von dort mitgebracht.« Vouivres Auge strahlte scheinwerfergleich. »Hast du versucht, den Weltenstein zu finden?«
Florin wurde von rotem Schimmer eingehüllt, aber er blieb noch immer besonnen, als müsse er sich vor dem Zorn und den Zähnen seines Herrn nicht fürchten. »Ihr bringt mich in die Lage, jede noch so kleine Überraschung für Euch selbst zu verderben«, antwortete er und rückte bis dicht an den Rand des Kanals. »Ich bin Euer Statthalter, Altvorderer, und in meinem Amt möchte ich mich hervortun. Ich möchte Euch überraschen und erfreuen. Ich weiß, dass Ihr damals…«
»Du kommst mit deinem Geschwätz nicht weiter, Florin«, unterbrach ihn Vouivre. »Denn ich weiß noch mehr! Snickelway fand etwas, deine Leute haben es ihr abgenommen, aber sie schaffte es wieder zurück in ihre Stadt.« Er verriet nicht, dass er seine eigenen Leute ausgesandt hatte, um an das Artefakt zu gelangen. »Die britischen Zeitungen sind voll mit Nachrichten über die Stadt der Geister. Du weißt, was diese Spukgestalten befreit hat!«
»Ich räume ein, dass einiges bei meinem Unterfangen fehlging, Altvorderer.« Florins Zerknirschung wirkte falsch, die gelben Augen wichen Vouivres Blick aus.
»Du hast deine Leute auf die Insel gesandt. Das ist Ddraigs Reich! Was wäre wohl geschehen, wenn sie bemerkt hätte, dass einer meiner Statthalter hinter den Vorgängen steckt?«
»Es hätte zu einem Krieg mit der roten Drachin kommen können.«
»Genau, Florin! Ganz genau! Und das nur wegen …?« Vouivre senkte die Stimme und gab ihm Gelegenheit, die Wahrheit zu sagen. »Wegen was, Florin? Weil du dich berufen fühltest, mich stürzen zu wollen? Hast du geglaubt, das Artefakt werde dir so viel Macht verleihen, dass du es mit einem Altvorderen aufnehmen könntest?«
Er hatte offenbar den Nerv des Wasserdrachen getroffen. Trotzig reckte er sich. »Vielleicht brauche ich nicht einmal das Artefakt?«
Vouivres loderndes Auge wurde zu einem schmalen Schlitz, ein
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