Drachenkaiser
gute Heilerin. Sie hat die Blockade Ihres Chis beseitigen und stärken können, Großmeisterin. Ihrem Kind geht es wieder gut.« Er lächelte. »Sie haben im Schlaf von Ihrem Nachwuchs geredet. Sonst wäre es schwer geworden, ihn zu bemerken.«
Wieder legte Silena die Hand auf den Bauch. »Wohin haben Sie mich gebracht? Klingt für mich nach … Chinatown. Sind wir im Londoner Limehouse District?«
Zhiao musste lachen. »China stimmt, aber das town können Sie streichen, Großmeisterin. Sie sind in Beijlng, im Herzen der Stadt und in unmittelbarer Nähe zur Kaiserstadt. Was Sie da hören«, er deutete zum Fenster hinaus, »sind die Bewohner und Marktleute. Ich bin einer von ihnen und handele mit Kunstgegenständen, die ich nach Europa verkaufe.«
Silena musste um Fassung ringen. »Sie haben mich entführt und mich in das Land verschleppt, in dem die Drachen als göttliche Geschöpfe verehrt werden«, fasste sie für sich selbst zusammen. »Sie werden einen ausgezeichneten Grund dafür haben, nehme ich an?« Sie setzte sich auf und zog das Laken mit, um ihre Blöße zu bedecken. Tausend Fragen und Gedanken gingen ihr gleichzeitig durch den Kopf, und sie tat sich schwer, die Prioritäten zu verteilen.
Zhiao goss ihr frischen, heißen Tee aus der rechten Kanne ein. »Ich muss etwas ausholen. Ich gehöre einer Organisation an, die Sie mit Drachenwärter bezeichnen würden. Wir glauben nicht daran, dass Lungs göttlich sind und Gutes vollbringen, sondern sind überzeugt davon, dass sie grässliche Geschöpfe darstellen, die ihre Macht ausnutzen. Unsere Mittel, direkt etwas gegen sie zu unternehmen, sind begrenzt, aber wir versuchen, ihre Vorhaben zu sabotieren«, erzählte er. »Wir haben dabei die Entdeckung gemacht, dass von diesen Bestien ein Unternehmen in die Wege geleitet wurde, das Europa betrifft. Man hat sich mit den Drachenfreunden dort zusammengetan, die den Boden für die Übernahme bereiten sollen.«
»Voss«, sagte Silena grimmig.
»Dieser Name fiel mehrmals«, bestätigte Zhiao besorgt. »Nur mit seiner Hilfe ist es möglich, diesen Plan in die Tat umzusetzen.«
»Ich habe Beweise für Finanzmanipulationen gefunden«, wagte sie eine Andeutung.
»Ja. Schwere Manipulationen. Das deutsche Kaiserreich hatte bis vor ein paar Jahren ernsthafte wirtschaftliche Probleme. Wissen Sie noch?«
»Sehr gut. Die Daimler-Benz AG kostete Anfang der Zwanziger genauso viel wie etwa dreihundertdreißig ihrer Automobile.« Silena erinnerte sich an die starke Inflation, die der Wirtschaft und den Menschen zu schaffen gemacht hatte. Der Kaiser hatte zudem bis vor vier Jahren immer wieder mit politischen Gegnern zu kämpfen gehabt, Putsche von rechts und links hatten Deutschland bedroht. »Keine guten Zeiten für die Börse.«
»Aber die Mark stabilisierte sich, und es gab einen Zustrom ausländischer Kredite, der vor knapp drei Jahren einsetzte. Das erzeugte Konjunktur und Wachstum, auch wenn es immer starke Höhen und Tiefen gab.« Zhiao nippte am Tee, Silena genoss das nach Jasmin schmeckende Gebräu. »Es war schon die Rede von der spektakulärsten Erholung in der Wirtschaftsgeschichte der Welt. Die Aktien schössen in die Höhe wie niemals zuvor.«
»Sie haben sich eingehend damit beschäftigt.«
»Ich musste! Sonst wären wir niemals draufgekommen, was der Lung plant. Er ist ein Finanzgenie, Großmeisterin.« Zhiao sah an die Decke und referierte weiter. »Von Dezember 1925 bis heute stiegen die Aktienkurse um einhundertzwanzig Prozent, und sie tun es immer noch. Die Dividenden haben aber nur um die Hälfte zugelegt, und einer unserer Leute kam zu dem Schluss, dass die Kurssteigerungen lediglich Spekulationen seien.« Er sah Silena in die grünen Augen. »Was denken Sie, was geschieht, wenn diese Blase platzt? Und zwar zu einem gesteuerten Moment?«
»Die ausländischen Kredite kamen aus China? Von Drachen?« Silena staunte. Auch die Tatsache, dass sie vom Einfluss der Altvorderen wusste, bewahrte sie nicht davor.
»Über Umwege und Mittelsmänner, ja. Voss war nur einer von vielen, aber der wichtigste. Da er ein Freund Wilhelm des Zweiten ist«, stellte Zhiao richtig. »Was das Kaiserreich in den letzten zwei Jahren an Aufschwung erlebte, erlebte es auf Pump. In Wahrheit stehen der Wohlstand und das Reich auf sehr dünnen Beinen.«
»Voss will sie brechen und damit die Börse zum Einsturz bringen. Und dann? Wissen Sie, wie er vorgehen will?« Silena war keine Fachfrau in Sachen Wirtschaft. Das brauchte sie
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