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Drachenkaiser

Drachenkaiser

Titel: Drachenkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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rückwärts. Dann kehrte er in seine Unterkunft zurück.
    Nie-Lung wurde sich bewusst, dass er kurz vor dem Tod gestanden hatte. Das machte ihn deswegen so unruhig, weil er seine eigentliche Mission noch lange nicht erfüllt hatte.
    Die Wunde pochte, und das hob seine Laune nicht gerade. Aber den Zorn konnte er leider nicht an seinem Diener oder der nahen Stadt auslassen. Um sich abzulenken, dachte er über den Zwischenfall nach.
    Was könnten die Ägypter gegen mich haben? Er wusste nichts von einem westlichen Drachen, der sich im Land der Pyramiden niedergelassen hätte und Ansprüche auf Europa erhob. An eine zufällige Begegnung, wie Ichneumon ihm weismachen wollte, glaubte er nicht. Was steckt wirklich hinter dem Angriff?
    So oder so: Diese neue Wendung musste sein Herr erfahren.
     
23. Dezember 1926, Bilston (ca. fünf Meilen südlich von Neu-Edinburgh), Provinz Schottland, Königreich Großbritannien
    Die Ängste hielten Silena im Würgegriff der schlimmsten Vorstellung, die es für sie geben konnte: Sie sah einen Friedhof mit einem Grabmal darauf, auf dem Grigorijs Name stand, ohne dass sie sich gegen das Bild wehren konnte, während sie die Stufen hinaufhastete. Der imaginäre Anblick erschütterte sie zutiefst. Nein. Ich will das nicht!
    Doch ihre Ängste kannten kein Mitleid und sandten ihr grausame Eindrücke von einer Trauerfeier im überfüllten Saal mit allen möglichen Freunden und Unbekannten, die nacheinander an den Sarg mit ihrem Mann traten. Das Liebste aufgebahrt und vergangen …
    »Nein«, schluchzte Silena. Keuchend wurde sie langsamer und hielt sich die Seite. Ihre ansonsten ausgezeichnete Kondition ließ sich von dem Schock beeinflussen.
    Als Nächstes sah sie seine gebrochenen blauen Augen vor sich, denen jegliches Leben und das Leuchten von einst fehlte. Das Leuchten, das sie so sehr in ihrem Leben brauchte.
    Mit einem verzweifelten Aufstöhnen kämpfte sie sich die Stufen hinauf, um Grigorij zu sehen, anstatt weiter von ihrer Vorstellungskraft gefoltert zu werden. Um keinen Beweis für das Unmöglichste, Schrecklichste zu erhalten, was seit seiner Geburt als unvergängliche Drohung über ihm geschwebt hatte.
    Silena stieß die Tür zur Eingangshalle auf und prallte vor dem Anblick zurück, der sich ihr bot: Ihr Gemahl, deutlich an Kleidung, Haaren und Haut vom Feuer gezeichnet, saß auf der Trage, die man dort abgestellt hatte, und trank hastig aus einem großen Glas Wein. Neben ihm stand Oberst Litzow in seiner ölverschmierten Mechanikeruniform. Der untersetzte Mann mit dem prächtigen braunen Schnurrbart im gealterten Gesicht sah erleichtert sowie besorgt aus.
    »Du…« Silena vermochte nicht mehr zu sagen. Das Glück traf in ihrem Innersten auf Zorn und Schmerz und schuf noch mehr Verwirrung. Ohne ein weiteres Wort warf sie sich Grigorij in die Arme. Der intensive Gestank nach verbranntem Horn und Stoff machte ihr nichts aus.
    »Silena, vorsichtig«, sagte er gepresst und schien Schmerzen zu unterdrücken.
    »Verzeih.« Behutsam löste sie sich von ihm, streichelte sein geschundenes, verrußtes Gesicht und küsste ihn zärtlich auf den Mund. Selbst seine Lippen schmeckten nach Rauch und Feuer. Sie sah in seine blauen, so lebendigen Augen und wischte sich selbst die Tränen weg. »Die Erleichterung«, erklärte sie mit einem dicken Kloß im Hals. All ihr Heiligen, ich danke euch! »Ich dachte für einen Moment…«
    Grigorij lächelte. »Viel hat nicht gefehlt. Ich dachte, ich verbrenne in dem Phaeton«, sagte er. Er legte ihr hustend einen Arm um den Hals. »Hilf mir aufzustehen. Ich möchte mich umziehen.«
    »Warten Sie, Fürst.« Litzow eilte auf die andere Seite und unterstützte sie. Die mit Wachs aufgestellten Enden des Bartes, die bis zu den Ohren reichten, bewegten sich dabei nicht. Sie waren unerschütterlich wie der alte Haudegen selbst. »Was ist denn geschehen?«
    Rasch fasste Grigorij sein Abenteuer zusammen; dabei humpelten sie die Treppen hinunter zu den Gemächern.»… und dann riss ein Passant die Tür auf, packte mich an den Stiefeln und zerrte mich hinaus. Eine Ambulanz wartete bereits, und ich bat sie, mich hierherzufahren. Mir ist nicht viel geschehen.« Entschuldigend sah er zum Oberst, hustete. »Aber ich fürchte, der gute Whisky ist verbrannt. Dreißig Jahre war er alt.«
    »Eine Schande, Fürst.« Litzow klang, als leide auch er Schmerzen.
    »Er sollte Ihr Geschenk werden.« Dann blickte er seine Frau an. »Und das seidene …« Er räusperte sich.

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