Drachenkaiser
erzählen. Doch er vermochte es nicht, da er fürchtete, dass sie sich etwas antun würde.
Die Schuld, sie zu ihrem eigenen Glück hintergangen zu haben, lastete jeden Tag von Neuem auf ihm. Dieser Druck flüsterte ihm mehr als einmal zu, wieder Absinth zu kosten oder Haschisch und Schlimmeres zu rauchen. Die Flucht in den süßen, herrlichen Rausch, der ihm unvergleichliche Leichtigkeit brachte, wurde immer verlockender. Doch er widerstand ihr.
Er hob den Toast an, ließ ihn wieder sinken und seufzte, während er ihr hübsches Gesicht betrachtete. Ich weiß, es war nicht rechtens. Aber wie hätte ich dich sterben lassen können?
Silena sah von ihrer Lektüre auf. »Du starrst mich an. Was ist denn?« Sie klang ungewohnt aggressiv.
Grigorij langte in die Tasche des Bademantels und nahm zur Ablenkung einen Umschlag hervor. »Nun, du bist nicht die einzige Person, die Briefe bekommt«, sagte er leichthin. »Im Gegensatz zu dir mache ich keine Geheimnisse daraus.« Glücklicherweise war ihm sein fast vergessenes Anliegen in den Sinn gekommen. »Er ist von meiner Mutter.«
Silena legte ihr Schreiben auf den Tisch. »Oh, wie schön! Ich wollte eben mit dir über meinen Brief sprechen, aber ich denke, dass ich zuerst hören möchte, was Alexandra Fjodorowna mitzuteilen hat.«
Er hörte ihr an, dass sie das Schreiben als Bestätigung ihrer Vermutung sah, dass der Zar hinter dem neuesten Anschlag steckte. Oh, wie schön hatte falsch geklungen. Grigorij wurde nervös, als er fortfuhr: »Sie lädt mich ein. Zu sich. Nach Sankt Petersburg.«
»Ha!«, stieß Silena hervor und warf sich gegen die Rückenlehne, dabei klatschte sie in die Hände. »Siehst du es nicht? Die nächste Falle, um dich auszumerzen!«
»Unsinn«, erwiderte er unverzüglich. »Der Brief erreichte mich lange vor der Schlägerei. Ich musste nur darüber nachdenken, bevor ich mit dir darüber reden wollte.«
Sie fuhr sich durch die feuchten dunkelbraunen Haare. »Du hast dich schon entschieden«, sagte sie düster und vorwurfsvoll. »Jetzt willst du, dass ich deinen Ausflug gutheiße.«
»Nein«, sagte er. »Nein, ich möchte mit dir…«
Silena beugte sich nach vorn; der Bademantel klaffte auseinander und gab den Blick fast vollständig auf ihre Brüste frei. Früher hätte sie den Stoff aus Anstand zusammengerafft, jetzt kümmerte es sie nicht. »Du willst nach Russland, ob mit oder ohne Zustimmung von meiner Seite.« Sie deutete mit einer herablassenden Geste auf den Brief. »Was hat die Zaritsa geschrieben, dass du bereitwillig in den Tod rennst? Geht es um eine Familienzusammenführung? Wirst du deine Halbgeschwister bei Tee aus dem Samowar und Marmeladen-Blinis kennenlernen? Oder braucht sie Rasputins Spross, um ihren Blutersohn mal wieder zu heilen?«
Grigorij sprang auf und warf seine Serviette hin. »Silena, wie redest du mit mir?«, fuhr er sie an – und machte sich gleichzeitig Vorwürfe. Ich habe sie verändert. Sie kann nichts dafür. Aber wie vermag ich es ungeschehen zu machen?
Sie kreuzte die Arme vor der Brust. »Wie es sich für einen Verblendeten gebührt«, erwiderte sie trotzig. »Ich hoffe, ich kann dir zu Einsicht verhelfen.«
Er hob das Schreiben. »Meine Mutter fürchtet um den Bestand des russischen Reiches. Die Umstürzler geben nicht auf und erhalten Unterstützung aus dem Ausland. Jede Reform, die Nikolaus erlässt, ist ihnen nicht genug. Die Bolschewiki wiegeln die Soldaten auf und streuen Gerüchte.«
»Ach, und du kannst das alles mit einem einzigen Besuch beenden? Der große Hellseher soll ergründen, wie es um die Romanows und ihre Dynastie steht?« Silena lachte ihn aus. Es schmerzte Grigorij, Opfer ihres Spotts zu werden. »Erwache, mein Gemahl! Der Brief kommt aus der Feder des Zaren. Er wird dich von seinen Schergen erledigen lassen, sobald du einen Fuß auf russischen Boden setzt.« Sie erhob sich ebenfalls, beugte sich nach vorn und stützte die Hände auf den Tisch. »Du, Grigorij Wadim Basilius Zadornov, bist der Beweis, dass die Zaritsa eine Nacht mit Rasputin verbracht hat. Ein Schandfleck auf zwei Beinen. Wäre ich der Zar, kämst du nicht lebend aus meinem Lande.«
»Du hast eine merkwürdige Art, mich warnen zu wollen. Es klingt nach Beleidigungen«, entgegnete er harsch, weil er ihre Ratschläge nicht länger ertrug. »Ich kann sie nicht im Stich lassen! Sie ist meine Mutter, die mich viele Jahre vor dem Zaren beschützt hat. Jetzt braucht sie meinen Rat und meinen Beistand, um die Revolution zu
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