Drachenkaiser
Li.«
»So?«
Ealwhina fand es besser, wenn er nicht wusste, was ihm bevorstand. »Eine Freundin. Sie hat einige Fragen an dich. Sie ist Chinesin und war ganz aufgeregt, als ich ihr sagte, dass sie nicht die Einzige aus deinem Land ist.« Sie lächelte. »Was uns angeht: Ich trachte nicht nach deinem Leben, Wu Li. Du wirst einen Weg finden, dich in York wohlzufühlen und der Stadt dein Wissen angedeihen zu lassen. Du könntest fähige Menschen zu Illusionisten ausbilden.« Sie wollte seine Vorsicht und sein Misstrauen einlullen.
Wieder zuckte er nur mit den Schultern. »Wo finde ich deine Freundin, Dängfül Es ist bestimmt schön, einige Worte in der Muttersprache zu hören.«
Das war leichter als gedacht. »In Ampleforth.« Sie schwebte empor. »Komm mit.« Er folgte ihr.
Sie flogen über das nächtliche, verregnete York hinweg und näherten sich der Vorstadt. »Da drüben in dem alten Haus«, sagte sie und zeigte darauf.
Halte ihn fest, hörte sie die Stimme der Drachin in ihren Gedanken.
Wu Li schwebte über den schief sitzenden Schindeln. »Gehen wir rein?«
»Tut mir leid, aber die Freundin wartet dort drüben.« Sie sandte ektoplasmische Energien gegen den Chinesen und umschlang ihn damit. »Sie möchte, dass du unter keinen Umständen verschwindest.«
Wu Li zappelte und rief eigene Kräfte zu seiner Befreiung herbei, doch Ealwhinas Macht war zu stark. Er konnte die Fesseln nicht lösen. »Was soll das?«
»Sie tut, was ich von ihr verlangt habe, Wu Li«, sagte Ddraig aus ihrem Versteck heraus. »Du hast Nie-Lung gedient, der mit Vouivre gemeinsame Sache machte, wie ich hörte und weiß.« Ihre Augen glommen auf. »Du wirst mir alles berichten, was du von diesem Nie-Lung und seiner Abmachung mit Vouivre weißt. Ich kann dich Schmerzen spüren lassen, Wu Li, schreckliche Schmerzen, und du wirst ewig mit ihnen leben müssen!« Eine rote Ektoplasmaentladung schoss aus der Dunkelheit herbei und hieb ihm gegen die Stirn.
Ealwhina musste die Lider schließen, so gleißend waren die Strahlen. Sie beglückwünschte sich, Ddraig zu keiner Zeit Widerstand geboten zu haben. Das hätte ich nicht überstanden!
Ein Teil von Wu Lis Geistergestalt nahm beim Einschlag sofortigen Schaden, Fetzen spritzten wassergleich davon und kehrten zäh zu ihm zurück.
Der Chinese schrie auf – und redete auf der Stelle.
18. Februar 1927, Hauptstadt Beijing, Verbotene Stadt, Kaiserreich China
Es war finsterste, bewölkte Nacht, als die kleine, in Schwarz gekleidete Gruppe durch die Verbotene Stadt eilte und sich durch die Schatten bewegte, um zu der Halle der Geistespflege zu gelangen.
Sie hatten den Wassergraben mit langen Schnorcheln durchtaucht und überwanden eine Mauer nach der anderen, wichen den Wachen aus, liefen auf den Mauern und Dächern der unzähligen Gebäude entlang, sprangen und kletterten, wie es Silena selten zuvor hatte tun müssen. Das Tückische sind die vielen Mauern. Sie werfen das Echo unserer Schritte weit zurück.
Sie achtete genau darauf, wo sie ihre Schritte hinsetzte. An den Füßen trug sie weiche Schuhe mit dünnen Sohlen, die kaum Geräusche verursachten.
Zhiao hatte sie mit der perfekten Attentäterausrüstung versehen. Unter ihren schwarzen Anzügen trugen sie Brustharnische, Ahmat seine Lederrüstung. Der Ägypter hatte seinen Speer in zwei Meter lange Stücke zerteilt und trug sie zusammen mit dem Schwert in einer Hülle auf dem Rücken. Die Drachenheiligen führten Schwerter mit sich, Brieuc den Zweihänder, Ademar und Donatus robuste scharfe Klingen aus Stahl. Die Waffen waren in Weihwasser gehärtet worden, in den Griffen lagerten Reliquienstücke, an deren vernichtende Wirkung gegen Drachen die drei fest glaubten.
Die Männer hatten mit der körperlichen Anstrengung die wenigsten Schwierigkeiten, aber Silena hatte ab der Hälfte der Strecke das Gefühl, dass sie das Vorankommen eher bremste als begünstigte. Und dass nicht sie diejenige war, die das Unternehmen leitete. Vor allem Letzteres schmeckte ihr überhaupt nicht.
Auf dem Weg durch die Stadt ging sie in Gedanken noch einmal durch, was ihr zu dem Ort einfiel.
Die Halle der Geistespflege war das Zentrum der Macht. Der Drachenkaiser empfing seine Beamten, die Mandarine, gab ihnen Anweisungen und hörte ihre Berichte, erteilte Beförderungen und Bestrafungen. Es gab darin einen Thron, einen Schreibtisch und eine Unzahl von Büchern.
Morgen, hatte Zhiao ihnen gesagt, stünde eine Audienz mit den Mandarinen an. Sie mussten
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