Drachenkaiser
können. Dennoch sind sie zu Geistern geworden.«
Tremaine nickte. »Ich finde diesen Aspekt sehr beruhigend. Somit wird keine Religion von diesem Phänomen ausgeschlossen. Es gibt keinerlei Alleinansprüche und keine Eifersüchteleien.«
Ealwhina lachte. »Und es könnte die Frage nach Gott und dem Jenseits aufwerfen.«
»Mit Sicherheit.« Tremaine stimmte in ihre Heiterkeit mit ein und nahm sein Büchlein heraus. »Wir müssen bald wieder zurück, Mylady. Ich habe noch einen Termin mit Sir Shamus.«
»Das wird sicherlich interessant. Er kann Ihnen sehr viel über York berichten. Es gibt kaum einen Geist, den er nicht kennt. Das Golden Fleece ist nach wie vor ein beliebter Treffpunkt unserer Zunft.« Er ging die Stufen hinab, und sie begleitete ihn plaudernd, obwohl sie ebenso gut hätte hinabschweben können. Sie malte sich aus, dass er unter Umständen das Gleichgewicht verlieren und die Treppe hinabstürzen könnte. Wie schön! Wir wären auf immer vereint! Dann fiel ihr ein, dass er sich womöglich in seinem bisherigen Leben nichts zuschulden hatte kommen lassen. Das sollte ich noch irgendwie geändert bekommen. Zur Sicherheit.
Sie verabschiedeten sich am Fuß des Turms mit einer freundschaftlichen Umarmung. Tremaine hatte im wahrsten Sinne des Wortes keinerlei Berührungsängste vor dem Übersinnlichen in all seinen Varianten.
Wir sehen uns bald schon wieder. Während sie seinem Wagen nachschaute, hörte sie, wie man ihren Namen rief. »Ja, bitte?«, sagte sie und wandte sich um.
Es war niemand in ihrer Nähe.
Ealwhina grinste und hielt es für einen Scherz eines »Kollegen«, der ihr zeigen wollte, dass die alten Tugenden der Geister, wie Erschrecken und Foppen, immer noch eine Rolle spielten. Dennoch verwunderte es sie, dass es nichts zu erkennen gab. Sie konnte Geister für gewöhnlich sehen.
Ealwhina! Komm beim Einbruch der Nacht zum südlichen Rand von Ampleforth, raunte die weibliche, sehr gebieterische Stimme, in der Kraft steckte. Ich muss mit dir über York sprechen.
»Wer sind Sie?«
Du hast mich verstanden!
»Wenn Sie nicht die Queen sein sollten, was ich beim besten Willen nicht glaube, gibt es dazu keinen Grund.« Ealwhinas Stimmung befand sich im Kippen. Sie konnte sich nicht erklären, wer die aufdringliche Ruferin war, die sich in ihre Gedanken gestohlen hatte. Das sprach für eine nicht unwesentliche Macht. »Würden Sie…«
Ich bin YDdraig Goch, die Herrscherin über Britannien, wurde sie wüst unterbrochen. Was du mit Viktoria abgemacht hast, kümmert mich nicht. Wir beide haben einig zu werden. In diesem Fall wirst du nichts von mir zu befürchten haben.
Ealwhina spürte Furcht. Die rote Drachin war erschienen, um sich ihren Einfluss zu sichern oder sich zu vergewissern, dass sie ihn nicht verloren hatte. »Ich bin da.« Sie entmaterialisierte sich, damit kein Ampleforther sie beobachten würde, und schwebte los. Auch wenn es noch dauerte, bis es dunkel wurde, hielt die Ungeduld sie nicht.
Sie ließ sich auf dem Dach eines einsamen, verfallenen Hauses nieder, das der Stadtgrenze und dem Bannkreis am nächsten war, und wartete auf dem halb eingestürzten First, dass sich die Finsternis herabsenkte.
Ihre Gedanken kreisten darum, dass sie bald erneut über Yorks Zukunft verhandeln musste und diese Verhandlung entscheidender war als die Unterredung mit den Gesandten der Queen. Sie hatte sich ein wenig in der Welt der Drachen bewegt und erinnerte sich sehr wohl an den kobaltfarbenen Drachen in Amsterdam. Von daher verwunderte sie es nicht zu sehr, dass sich die sagenumwobene Drachin bei ihr meldete. Was kann sie wollen? Es gab zu viele mögliche Antworten auf die Frage. Warum fürchtet sie die Queen nicht? Ihre Beunruhigung nahm zu.
Als es endlich Abend geworden war und sich Regenwolken vor die Gestirne geschoben hatten, meldete sich die Drachin.
»Ich sehe dich auf dem Dach sitzen. Du musst dich nicht manifestieren«, sagte Ddraig zu ihr, und die Stimme klang noch wuchtiger im Schädel als vorhin.
Ealwhina spürte intuitiv, dass es darauf ankam, mit der Drachin ein gutes Verhältnis zu haben. Ihre schwach rote Silhoutte senkte sich aus dem Himmel auf die sacht geschwungene Landschaft hinab, wobei sie darauf achtete, hinter einem kleinen Wäldchen halb verborgen zu landen, damit sie nicht sofort gesehen wurde. »Du bist also die Urheberin des außergewöhnlichen, einzigartigen Aufruhrs, der sich in meinem Land zugetragen hat. Wie hast du es angestellt?«, fragte Ddraig
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