Drachenkaiser
sei denn, er ist ein medial Begabter und weiß zufälligerweise auch noch, wie man Ektoplasma einsetzen kann.« Tremaine nahm ihre Hand. In ihrem manifestiertem Zustand vermochte er sie zu berühren wie einen realen Menschen. »Ich kenne Ihre Geschichte inzwischen, Mylady.«
Ealwhina hatte gewusst, dass der Moment kommen würde, so gern sie ihn vermieden hätte. Es freute sie nicht, dass er von ihren vielfachen Morden gelesen hatte. »Oh. Sie haben sich also durch die alten Zeitungen von damals gewühlt.« Sie fürchtete, dass er sich von ihr abwenden würde, und erwartete aufgeregt seine Reaktion.
»Nein. Ich sprach mit Ihrem Gemahl. Bei Ihrer Beerdigung.«
Ealwhina musste sich beherrschen, um ihre feste Gestalt nicht zu verlieren. »Sie … haben mich überrascht, Mister Tremaine.«
Er lächelte. »Ich bin Parapsychologe, Mylady. Was haben Sie erwartet? Ich habe Sie gewarnt, dass ich übersinnlichen Dingen auf den Grund gehen möchte. Dazu zählt auch das Ergründen der Vergangenheit.«
»Mein Gemahl hat hoffentlich auch Gutes zu berichten gewusst?«
Er nickte. »Er sagte, dass er bis zuletzt gehofft hatte, dass Sie diese Neigung verlören. Er pries Ihr Mitgefühl, ihr freundliches Wesen und Ihre Wissbegier, die er sofort bei Ihnen erkannt hatte. Das sei der Grund gewesen, warum er Molly Smith ohne Bedenken und gegen den Willen seiner Familie geehelicht hätte.«
Ealwhina sah auf Ampleforth hinab. »Das ist lange her«, raunte sie. »Ich habe ihn schon ewig nicht mehr gesehen …« Sie richtete den Blick auf Tremaine. »Haben Sie ihm berichtet, was aus mir geworden ist?«
»Nein, obwohl ich den Eindruck hatte, er weiß, dass der Geist, den man Lady Snickelway nennt, wirklich seine ehemalige Gattin ist. Die Beisetzung fand in aller Heimlichkeit statt. Außer mir und Ihrem Gatten war niemand auf dem Friedhof.« Tremaine schluckte. »Ich habe am Sarg einer alten Frau gestanden, Mylady. Ihr Leib wurde sechsundachtzig Jahre.«
»Ja. Und er hätte sicherlich noch zehn weitere Jahre durchgehalten«, gab sie zurück. »Es ist gut, dass meine Taten so lange zurückliegen. Nur wenige Yorker wissen mit Lady Snickelway etwas anzufangen.« Sie fühlte sich in diesem Augenblick befreiter. Nach dem ersten Schock war die Erkenntnis gewachsen, dass sie dem Tode auf ewig entronnen war. Auch wenn sie für die Unsterblichkeit einen hohen Preis bezahlte.
»Und Sie können einem Angst machen! Verzeihen Sie, dass ich es offen ausspreche: Sie waren eine furchtbare, erschreckende Mörderin! Sie taten es aus einer Laune heraus, ohne höheren Antrieb wie Rache oder Demütigung.« Er rieb über ihren Handrücken. »Wer sagt, dass es Sie nicht wieder überkommt und Sie Ihre Macht gegen … Kinder richten?«
»Diese Zeiten sind vorbei, Mister Tremaine. Das schwöre ich Ihnen.« Ealwhina hoffte, dass ihre Taten sie eines Tages nicht Lügen straffen. Sie konnte es nicht wirklich kontrollieren. »Doch wenn ich morden werde, dann nur Verbrecher, die von einem Gericht zum Tode verurteilt wurden«, ließ sie sich eine Hintertür offen.
»Das ist wohl in Ordnung. Doch auch das erscheint mir …«Ihm fehlten die Worte, er ließ ihre Hände los, was sie sehr bedauerte. Menschliche Wärme war etwas Besonderes, denn ihre Geisterhaut fühlte sich kalt an. Ein eklatanter Unterschied zu ihrem Astralleib. »Die Menschen sind größtenteils zurückgekehrt, wie ich hörte.«
»Ja«, sagte sie nicht ohne Stolz. Ihr war es recht, dass er den Gesprächsgegenstand wechselte. »Denjenigen, die nicht zu uns wollten, haben wir die Bleibe abgekauft. Die Häuser werden bald neue Besitzer bekommen. Der Bürgermeister und die meisten Ratsmitglieder haben ihre Arbeit aufgenommen, und wir besprechen gemeinsam, was gut für York sein wird. Geister und Menschen verzahnen sich immer mehr.«
»Sie klingen erleichtert.«
Ealwhina zeigte auf die Stadt, sie konnte sich an York und der Landschaft nicht sattsehen. »Ja. Niemand wusste, wie es nach dieser Nacht weitergehen würde. Die Welt hat sich unumkehrbar verändert.«
»Ja, und zwar nicht nur für Sie«, fügte Tremaine hinzu. »Die Menschen in der ganzen Welt müssen ihre Einstellung zum Reich der Geister und zum Jenseits überdenken. Es wurde der Beweis erbracht, dass es mehr gibt als Tod und Leben.«
»Ich würde nicht so weit gehen und behaupten, dass es etwas Christliches ist«, warf sie ein. »Die Römer und Kelten, mit denen Sie sich noch nicht unterhalten haben, werden Ihnen zu Jesus nichts sagen
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