Drachenkaiser
ihm versöhnen sollen, dachte sie, seufzte und stützte die linke Wange auf die Handfläche. Es ist mir unerklärlich, woher diese Gefühlsschwankungen kommen. Bin ich überarbeitet und überlastet? Habe ich mir mit den Skyguards zu viel zugemutet?
Nicht nur, dass Grigorij und ihre Ehe darunter litten. Sie wurde darüber hinaus immer mehr zu einer unberechenbaren Vorgesetzten und Ausbilderin, die von einem Tobsuchtsanfall in die Beschämung glitt und gleich darauf erneut die Fassung verlor. Sie wusste, dass nicht alle Nachfahren der Drachenheiligen gleichermaßen gut mit den Erlebnissen bei der Jagd zurechtgekommen waren und manche die Verluste oder todgefährlichen Situationen schlecht verkraftet hatten. Bislang hatte sie sich von einer Anfälligkeit dafür verschont gefühlt.
Sie legte den Kopf schief, dehnte den Hals, bis es knackte. Der Nacken tut heute besonders weh. Das Wetter wird sich ändern.
Sie sah zwei Männer in der zerschlissenen Uniform der kaiserlichen Armee auf dem Marienplatz in der Kälte stehen. Einem fehlten das rechte Bein und das linke Auge, dem anderen beide Arme. Vor dem Bauch trugen sie Schilder, auf denen sie um Geld baten. Silena kannte das Schicksal, wie es Tausende Soldaten getroffen hatte: Sie hatten ihre Gliedmaßen im Weltkrieg verloren und konnten keiner Arbeit mehr nachgehen. Das bisschen an Rente und Ausgleichszahlung war schon lange aufgebraucht. Folgen des Kriegs. Bedauernswerte Kerle. Ich werde ihnen später etwas geben.
Der Anblick der beiden Verstümmelten brachte ihre Gedanken wieder auf die gefährlichen Einsätze für das Officium. Im Stillen fragte sie sich, was sie überhaupt in München tat. Außer ihrem Trotz, die Drohung gegen Grigorij wahr zu machen, war sie der Sentimentalität gefolgt. Der Brief hatte Erinnerungen an ihre toten Brüder geweckt, an den Ehrenkodex, das Böse in Gestalt der Drachen zu bekämpfen, wie es ihre Vorfahren getan hatten. Der Glaube an den Kodex schien noch nicht tot zu sein. Ihre Reise war der beste Beweis dafür.
Harte Schritte näherten sich ihrem Tisch, Absätze hämmerten auf den Boden, leise klingelte Metall. »Wen haben wir denn da? Die Toten kehren unter besonderen Umständen also doch zurück.«
Sie sah auf zu dem Mann, der sich soeben vor ihr aufbaute und die Hände in die Hüften stemmte. Unter dem Mantel trug er die weiße Ausgehuniform der Drachenheiligen mit dem hohen, bestickten Stehkragen. Ehrenschärpe und die sieben Orden an seiner Brust lenkten die Blicke wie von selbst auf ihn, und sie erinnerte sich genau daran, wie sehr er dies genoss.
»Großmeister Brieuc. Sie sind zurückhaltend wie eh und je.«
Er war groß und breit gebaut und hantierte in erster Linie mit einem Zweihänder, wenn er mit seiner Mannschaft gegen einen Drachen zog. Der Säbel an seiner Seite diente einzig der Repräsentation. Die braunen Haare trug er dank viel Pomade mit einem linken Seitenscheitel; einige verwegene Locken hingen ihm in die Stirn. »Sie haben Ihr Aussehen verändert: lange Haare, ein damenhaftes Äußeres – muss ich Ihnen einen Handkuss geben?«
Silena grinste und zeigte auf den Kragenspiegel. »Wie haben Sie es denn geschafft, zwei große Exemplare zu erlegen? Vermutlich starben die Biester beim Anblick Ihrer Frisur.« Mit dem Fuß schob sie den Stuhl für ihn zurück. »Setzen Sie sich. Alle starren zu uns.«
Er sah auf ihr Bein. »Das war wiederum nicht sehr damenhaft. Ich bin erleichtert darüber.« Brieuc nahm Platz und winkte nach der Bedienung. »Im Übrigen mag ich Bewunderung. Es tut meinem Selbstbewusstsein gut.« Sein nächster Wink galt dem Diener, der am Eingang mit einem Paket wartete. Der Mann eilte heran, stellte es neben Brieuc auf den Boden und verschwand wieder. »Ein Geschenk für Sie. Falls Sie sentimental werden sollten.«
»Danke.« Sie betrachtete den großspurigen Mann, der trotz mancher Desaster zu den treuesten Drachenheiligen des Officiums gehörte. Seinen schwarzen Mantel mit dem weißen Pelzbesatz hielt er einfach in die Luft, damit eine Bedienung das teure Stück aufhing; dadurch wurde die Luger im Achselholster sichtbar. Ein wenig wunderte sie sich schon, dass Brieuc sie zurückhaben wollte. Die Karten müssen wirklich schlecht stehen. »Ich schaue es mir später an.«
Als die Kellnerin sich näherte, verlangsamte sie ihre Schritte und starrte Silena ungläubig an. »Großmeisterin Silena? Sie?« Sie nahm Brieucs Mantel.
»Vorsicht, Mädchen. Der kostet mehr als dein Jahresgehalt«,
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