Drachenkaiser
aufzunehmen.«
Der Großmeister lächelte. »Einer von beiden wird es tun. Um seine Macht zu stärken.«
Sie runzelte die Stirn. »Erklären Sie mir das.«
»Prokop will unseren Einfluss unverzüglich über den Atlantik ausdehnen. Ihm sind wir in Amerika zu wenig präsent, um die Vernichtung der dortigen Drachen zu kontrollieren. Dazu möchte er einen alten Kohlefrachter zum Flugzeugträger umbauen, damit die Luftschiffe Entlastung erfahren.«
Silena staunte. »Die USA haben uns … das Officium angefordert? Bislang hieß es immer, sie wollten ihre Drachenbekämpfung selbst regeln. Es gibt genug Drachenjäger, die sich dort tummeln, wie uns gesagt wurde.«
»Ach, die Skyguards haben den Präsidenten gefragt?«
»Ja. Er lehnte ab und nannte es eine Innere Angelegenheit, für die man keine Ausländer benötigen würde.« Silena bestellte mit einem Wink einen zweiten Tee.
»Daran hat sich nichts geändert. Prokop ist gewillt, sich notfalls mit den Staaten anzulegen, da er Europa hinter sich weiß.« Brieuc kippte den zweiten Weinbrand hinunter, als brauche er mehr Mut, um fortzufahren. Mit jedem Wort, das er sprach, nahm seine Rastlosigkeit zu. Die Finger spielten mit dem leeren Glas. »Kattla dagegen möchte in Europa bleiben und die Grenzen zum Osten hin gegen die asiatischen Teufel absichern.« Er machte eine kleine Pause. »Wir haben zwei Chinesendrachen erlegt. Einen in Berlin, den anderen in Warschau. Der Erzbischof vermutet, dass sie eine Offensive planen, um die Westdrachen auszumerzen und an deren Stelle zu treten.« Er setzte das Weinbrandglas nochmals an und ließ die letzten Tropfen in den Mund rinnen.
Silena horchte in sich hinein und versuchte zu ergründen, welchen Plan sie für den besseren hielt.
»Großmeisterin!«, rief Marie in diesem Augenblick vom Tresen aus und drehte das Radio lauter. »Das bringen sie eben im Rundfunksender München.«
Schlagartig wurde es still im Café. Alle wollten die Durchsage hören, die blechern aus dem Lautsprecher schepperte. Silena war froh, dass niemand sie anstarrte.
»… unterbrechen wir unser Unterhaltungsprogramm. Wir werden mit Waffengewalt gezwungen, das Manifest der Drachenfreunde Europas zu verlesen«, sagte ein Mann mit zitternder Stimme. »Wir, die Drachenfreunde Europas, erklären sämtlichen Frevlern den Krieg, die das heilige Geschöpf Drache jagen und töten.«
Brieuc lief augenblicklich rot an. »Stellen Sie das ab!«, rief er quer durch das Café. Silena sah den ohnehin angespannten Mann bereits aus der Haut fahren.
»…Weder das Officium Draconis noch die freien Jäger sind sicher vor uns. Lange Zeit wurde das heilige Geschöpf von der Kirche als Teufel verbrämt. Nimm dir ein Beispiel an Asien, deutsches Volk!«
Der Großmeister sprang von seinem Stuhl auf. Er reckte drohend den Finger gegen Marie. »Hörst du nicht, du dumme Gans? Im Namen des Officium Draconis: Schalte den Empfänger aus, oder ich sorge dafür, dass du im Zuchthaus verschwindest!«
Marie sah ihn eingeschüchtert an, zögerte jedoch, seinem Befehl nachzukommen.
»… Bete den Drachen an, und er wird uns zu Glück, Wohlstand und Zufriedenheit führen.«
»Los, verdammt! Diese Verbrecher dürfen kein Gehör finden!« Er zog die Luger aus dem Holsten »Oder soll ich es tun?«
»Brieuc«, zischte Silena. »Sie übertreiben! Weg mit der Waffe!«
»… geben wir schon bald ein Zeichen, das nicht missverstanden werden kann«, las der Sprecher vor. »Erkennt die Göttlichkeit des Drachen an und…«
»Ruhe!« Brieuc hob den Arm, zielte und schoss; die Menschen schrien erschrocken auf. Die Kugel jagte durch das Gehäuse des Empfängers, es knallte dumpf, und die Übertragung endete.
Silena atmete durch. Für eine Sekunde hatte sie geglaubt, dass der Großmeister auf Marie schießen wollte.
»Gott verdammt!« Der schwer atmende Brieuc steckte die rauchende Luger ein und setzte sich. »Das wird ihr eine Anzeige einbringen«, sagte er wütend. »Wie kann sie es wagen, sich meinen Befehlen zu widersetzen? Ich bin das Officium Draconis.«
Die alte Hybris. Der letzte Hauch von Sentimentalität, den Silena anfangs empfunden hatte, verschwand. Sie hatte niemals ernsthaft in Erwägung gezogen, sich dem Officium wieder anzuschließen, und Brieucs Tat bestätigte sie in ihrer Entscheidung. Ich würde mich ständig mit ihnen prügeln, anstatt gegen Drachen zu kämpfen. Ich kann mit ihrem Dünkel und ihrer Selbstverherrlichung nicht umgehen. Der Kampf gegen die Drachen dient
Weitere Kostenlose Bücher