Drachenkaiser
wurde immer schlimmer, doch sie lachte.
Rasch bog sie um eine Ecke und lief langsamer, um nicht aufzufallen, schloss ihren Mantel und wurde zu einer ganz gewöhnlichen Passantin, die sich zwei Schritte weiter neben einer Laterne übergeben musste.
X.
4. Januar 1927, Amsterdam, Provinz Nord-Holland, Königreich Holland
Die Tür wurde geöffnet, und Ealwhina sah ein Hausmädchen in schwarzem Kleid und weißer Schürze mit der dazu passenden Haube auf den blonden Haaren. »Goeden dag.« »Guten Tag«, antwortete sie auf Englisch. »Ich suche den Königspalast.«
Die Bedienstete schaute sie groß an und zuckte mit den Schultern, deutete auf das Ohr. »Ik versta u niet.«
Ealwhina schielte schräg nach unten, wo Sigorskaja am Fuß der Treppe wartete. »Oh. Ja, dann … Palais?«
»Sind wir richtig oder nicht, Snickelway?«, sagte die Russin ungehalten.
»Ja, das sind wir.«
Das Hausmädchen machte zwei Schritte nach vorn und spähte über das Geländer nach unten. »Goeden dag.« Sie bemerkte die Männer um sich herum, sah die Waffen und erschrak. »Opgelet! Help!«, stammelte sie – und wurde prompt von einem der Russen niedergeschlagen.
»Rein mit Ihnen«, rief Sigorskaja und gab einen Befehl.
Ihre Begleiter drangen in die Wohnung und schoben Ealwhina vorwärts, als wäre sie ein Schild. Es roch nach Kaffee und frisch gebackenem Kuchen, geklöppelte Vorhänge zierten die Fenster und alte Bilder die Wände, Spitzendeckchen lagen auf den dunkelbraunen Möbeln. Es wirkte alles sehr bürgerlich und anständig auf Ealwhina. Habe ich mich geirrt?
Immer weiter rückten sie vor, sahen viele verlassene Zimmer und erreichten eine Stube, in der vier Frauen um einen Tisch herumsaßen, auf dem die Köstlichkeiten standen, die den Duft verbreiteten. Zwei Soldaten hielten die Damen mit Pistolen in Schach, was unverhältnismäßig bedrohlich aussah.
»Vlad und Piotr, ja?« Sigorskaja gab Ealwhina einen Stoß gegen die Schulter. »Ich sehe ein Quartett netter alter Damen. Ich hatte Sie gefragt, ob sie sicher sind, dass wir in dem richtigen …«
Auf dem Flur erklang ein lauter Ruf, dann krachten mehrere Schüsse. Ein Russe fiel zu Boden, und Ealwhina sah, wie seine Seele durch die Decke aufwärtsfuhr.
»Sie sind in der Bedienstetenwohnung, Snickelway! Nicht oben!« Sigorskaja schob sie am Kragen auf den Gang, die Soldaten folgten ihnen. »Sie werden als Erste sterben, wenn es sein muss. Der Lohn für Ihre schlechte Arbeit.«
Ealwhina ließ sich auf die Treppe zuschieben, deren Stufen nach unten führten. »Aber…« Ehe sie sichs versah, flog sie die Stiege hinab.
Das Treppenhaus drehte sich um sie herum, mal sah sie die Wand, das Holz, das Geländer, dann Sigorskajas Gesicht und schließlich zusammen mit dem Aufschlag auf dem Boden: Piotr. Er zielte mit einem Revolver auf sie. »Niet!«, stöhnte sie benommen und spürte die Schmerzen, die ihr der Sturz verursachte.
Es knallte zweimal, und in Piotrs Hals und auf der Stirn zeigten sich Löcher, aus denen das Blut schoss. Er sackte rückwärts gegen die Wand und löste im
Rutschen seine Waffe mehrmals aus. Die Kugeln sirrten umher, trafen aber niemanden.
Ealwhina wurde am Rücken gepackt und auf die Beine gestellt. »Sehr gute Ablenkung, Snickelway«, lobte Sigorskaja ätzend.
Ealwhina fühlte sich schwerfällig, ihre Schläfen pochten. »Da hinten«, sagte sie und hob den Arm. »An der Tür rechts geht es abwärts. Da müsste das Artefakt sein.« Und schon wurde sie wieder vorwärtsgeschoben. »Nein, bitte«, stöhnte sie und taumelte mehr, als sie ging.
Die Tür erschien, zwei Soldaten traten sie auf und stürmten hindurch, Sigorskaja folgte mit Ealwhina.
Wieder krachten Schüsse, doch sie hallten sehr laut und klangen äußert verzerrt. Ealwhina roch das brackige Wasser, bevor sie es sah, erkannte ein gemauertes Gewölbe und die zuckenden Reflexionen an der Decke, die von den Wellen zurückgeworfen wurden.
Ein russischer Fluch ertönte, und Ealwhina wurde losgelassen und zur Seite gestoßen. Noch mehr Soldaten betraten den Raum und feuerten aus ihren Pistolen nach unten. Der Geruch der verbrannten Treibladungen biss in die Nase, ihr Rauch trübte die Sicht.
Ealwhina stolperte über die eigenen Füße und fiel auf eine schmale Balustrade. Drei Meter unter sich sah sie einen großen, gemauerten Raum mit einem schmalen Bassin, in dem schwarzes Wasser schwappte. Verteilt gestapelt worden waren Kisten und Säcke, hinter denen sich Vlad verschanzt hatte
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