Drachenkaiser
eine Sekunde und ließ sich von ihm zu seiner Unterkunft bringen. Ihre Knie zitterten, die nasse Kleidung klebte an ihr, und sie fühlte sich, als würde sie in den nächsten Minuten zusammenbrechen. Das kannte sie nicht von sich.
5. Januar 1927, Freie Hansestadt Hamburg, Deutsches Kaiserreich
Es war leicht gewesen, das Haus mit der kleinen ägyptischen Kunstsammlung im Keller ausfindig zu machen, das in den Akten der Abwehrabteilung des Officiums beschrieben worden war. Es stand in der Altstadt, nahe der Binnenalster, und machte einen unauffälligen Eindruck. Ein Patrizieranwesen durch und durch.
Silena, die einen schwarzen Hosenanzug mit braunem Mantel und passendem Hut trug, stand fünfzig Meter davon entfernt vor dem beeindruckenden Rathaus, dem man ansah, dass es noch nicht allzu viele Jahre auf dem Buckel hatte, und wartete auf Leida.
Per Telefon und Telegramm hatten sie Pläne geschmiedet, jetzt würden sie wieder gemeinsam zuschlagen.
Ihre Ungeduld wuchs, die Sorge um Grigorij ebenfalls. Es ging ihr alles zu langsam, doch sie riss sich zusammen. Ihre Unbesonnenheit konnte ihrem Gemahl Schaden zufügen, wo immer er gerade steckte und in wessen Gewalt er sich befand.
Nach wie vor war sie überzeugt, die Drahtzieher seines Verschwindens in diesem Haus vorzufinden. Andere Menschen würden es an die Hoffnung klammern nennen. Sie wollte nicht genauer darüber nachdenken, dass sie in den Mauern durchaus eine Enttäuschung erwarten könnte und sie über unbescholtene Bürger hereinbrachen. Das Officium hatte sie als harmlos eingestuft.
Das Fischbrötchen, das Silena gegessen hatte, verursachte ihr Magengrimmen. Oder es war die Schwangerschaft. So viel erbrochen habe ich mich nicht mehr seit meinen ersten Tagen im Kunstflugtraining. Zwischen den Fingerknöcheln der linken Hand wanderte die Silbermünze rastlos hin und her.
Zehn ihrer Leute hatte sie in unauffälligem Zivil auf dem Platz verteilt. Sie trugen Pistolen mit sich, denn der Besuch sollte zu einem Ergebnis führen, das Silena notfalls mit Waffengewalt erzwingen würde. Mit Leida zusammen. Heiliger Georg, danke, dass sie glimpflich davongekommen ist.
Sie musste aufstoßen. Eingelegter Fisch war wirklich keine gute Idee. Ein trockenes Brötchen wird die Säure binden.
Sie schlenderte in eine Konditorei und erstand gegen ihre eigentliche Absicht einen Krapfen, einen Beutel Schokoladenkekse und kandierten Ingwer mit Schokoladenüberzug. Silena wunderte sich beim Essen über sich selbst, vertilgte den Krapfen, zwei Kekse und hörte nach drei Stückchen Ingwer auf. Das Brennen im Hals hatte geendet. Dafür war ihr nun schlecht.
Leida, die in ihrer khakifarbenen Kleidung an eine Großwildjägerin erinnerte, steuerte humpelnd auf sie zu. Die Frauen umarmten sich. »Da bin ich wieder. In Fleisch und Blut und nicht mehr nur am Telefon.«
»Sehr gut! Ich bin froh, dich zu sehen.« Silena bot ihr ein Ingwerstäbchen an. »Wirst du überhaupt mit deinem Fuß…«
»Mein Fuß gehorcht mir«, fiel Leida ihr in den Satz. »Die Schmerzen des Drachenfeuers, das mir das Gesicht verbrannte, waren hundertmal schlimmer.«
Kämpferherz. Silena grinste. »Neue Erkenntnisse, was an Bord der Ramachander geschehen ist?«
»Nein. Ich kann dir nur sagen, dass sie mit der Ladung an Bord gelangt sind, die MG-Kuppeln besetzt und sofort auf die Lena geschossen haben.« Leida sah man die Verärgerung an. »Keine Ahnung, wer sie waren, aber nach wie vor denke ich, dass es sich um Drachenfreunde handelte. Nichts Ägyptisches, bei keiner ihrer Leichen. Und danke, dass du die Kosten für die Reparaturen übernommen hast.«
Silena hob die Hand. »Das ist das Mindeste. Meine Leute haben dich ja beinahe aus dem Himmel geblasen. Außerdem bin ich in Vorlage getreten. Wir holen uns das Geld eines Tages von den Schuldigen wieder. Samt Zinsen und Entschädigung.« Sie drehte sich leicht zur Seite. »Das vierte Haus von links, das ist es.«
»Und warum müssen wir da hinein? Weil sie Grigorij entführt haben? Du klangst am Fernsprecher leicht… durcheinander.«
»Sei nicht so skeptisch«, bat Silena und aß ein weiteres Ingwerstückchen. »Es ist meine einzige Hoffnung, dass mein Mann noch lebt.« Seufzend packte sie die Tüten in den Mantel. »Ich weiß, es ist mehr als vage. Eigentlich irrwitzig anzunehmen, dass man ihn hierhergebracht hat. Mir fehlt es selbst an Gründen.«
Leida lächelte ihr aufmunternd zu. »Wer weiß das schon? Klopfen wir und sehen nach. Ich habe meine
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