Drachenkampf
…«
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E s handelte sich nicht um eines der bekanntesten Stadttore von Paris. Es war weder das am häufigsten benutzte noch das am besten geschützte. Und von Anbruch der Nacht an, wenn die massive Flügeltür zwischen den beiden stattlichen Türmen geschlossen wurde, verwandelte es sich in ein dunkles, stummes Gebäude, dessen finstere Stille bis zum Morgengrauen normalerweise nichts stören konnte.
Die Draqs kamen etwas nach Mitternacht, ihre Pferde trabten in dem schwarzen, wabernden Nebel, der sie begleitete.
Es waren acht.
Sieben kräftige Schwarzdraqs und einer mit fahlen Schuppen, die die Farbe schmutzigen Goldes hatten. Die Schwarzdraqs ritten auf ruhigen, kräftigen Streitrössern. Sie trugen Handschuhe und Stiefel und waren gekleidet wie Auftragsmörder. Ledergürtel umschlangen ihre Taillen, und sie trugen robuste Rapiere an der Seite.
Der andere Draq war nicht bewaffnet. Aber er hielt einen langen, geschnitzten Stab in der Hand, an dem eine Reihe von Fetischen hing – kleine Knochen, Zähne, Federn, alte Schuppen. Er war mit stinkenden, fleckigen Lumpen bekleidet, und man ahnte, dass sie mit eingetrocknetem Blut besudelt waren. Zudem hockte er auf einem riesigen Salamander, dessen Bauch schwarzer Nebel umstrich. Die schweren und langsamen Schritte gaben das Tempo der Truppe vor. Er war alt. Ihm fehlten Zähne, und er hatte einen krummen Rücken. Seine gelben Augen dagegen leuchteten sehr lebendig, und eine unheilvolle und besonders starke Aura ging von ihm aus.
Die Draqs verharrten auf der schmalen Steinbrücke, die den stinkenden Graben überspannte. Sie warteten. Dann streckte der schwarze Nebel seine dunklen Arme aus, die sich unter den Flügeln des Tors hindurchschlängelten, um ihr Werk auf der anderen Seite zu vollenden. Das war schnell geschehen. Schon bald darauf zogen sich die Nebelarme wieder zurück.
Danach hob der alte Draq seinen Stab und streckte eine knochige Hand mit gelben, eingerissenen Krallen nach dem Tor aus.
Er murmelte einige Worte auf Drakonisch.
Im Inneren wurden dumpfes Schaben und Stoßen hörbar.
Die schweren Torflügel öffneten sich, während sich das Fallgatter klirrend hob.
Das lang gezogene, leere Gewölbe wurde nur von zwei knisternden Fackeln beleuchtet. Die Draqs rückten langsam vor, ohne den Pikenier auch nur eines Blickes zu würdigen, der mit dem Tode ringend aus der Wachloge taumelte, eine Hand ausstreckte, um Hilfe rufen wollte und schließlich zusammenbrach. Er starb, ein Zucken lief durch seinen Körper, und eine schwarze Flüssigkeit trat ihm aus Mund, Nase und Augen.
Die Draqs gingen durch das Tor und verschwanden nach und nach in den dunklen Straßen von Paris.
II – Schloss Fuchsbau
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A lessandra di Santi, »die Italienerin« genannt, erwachte bereits im Morgengrauen und war bemüht, die beiden kleinen Drachentiere nicht zu wecken, die auf ihrem Bett schliefen. Lautlos ging sie ans Fenster hinüber und setzte sich. Noch immer nackt und mit einem alten italienischen Volkslied auf den Lippen fing sie an, sich sorgfältig zu kämmen. Sie war schön, das Morgenrot streichelte ihre blasse Haut und wärmte ihre langen roten Haare.
Aus dem Fenster ihres Zimmers blickte die junge Frau hinaus in den Garten und über den gesamten Besitz von »Fuchsbau«. So nannte man das kleine Schlösschen, in dem sie nun schon seit fünf Tagen logierte. Es handelte sich um einen Jagdsitz, der demjenigen, den sich der König in Versailles hatte erbauen lassen, sehr ähnlich war: ein zentraler Pavillon, zwei Flügel, die einen Hof umrahmten, und davor, auf der anderen Seite des wasserlosen Schlossgrabens, über den eine kleine Steinbrücke führte, ein Vorhof, der von Nebengebäuden flankiert wurde. Auch wenn es ihr dort an nichts wirklich fehlte, bot das Jagdschlösschen nur einen recht einfachen Komfort. Aber es war ein diskreter und friedlicher Ort. Weniger als eine Stunde zu Pferd von Paris entfernt, lag das Jagdschloss ein wenig abseits der Route de Meudon , hinter einem dichten Wald verborgen, beinahe nicht zu erahnen.
Also der perfekte Rückzugsort.
Als sie sich fertig gekämmt hatte, läutete sie ein Glöckchen, um der Kammerzofe – die ihr zusammen mit einer eleganten Garderobe freundlicherweise zur Verfügung gestellt worden war – Bescheid zu geben, dass sie ihre Morgentoilette zu erledigen und sich anzukleiden wünschte. Doch das helle Klingeln zog zuerst Traufe an, das Weibchen ihrer beiden schwarzen Dragune. Ihr Bruder, Regen, folgte ihr aus
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