Drachenkampf
unverzeihlich. Ihr habt mich im Stich gelassen, und man hätte mich leicht ermorden können. Ihr bereitet mir großen Kummer. Es wäre mir lieber, Ihr wäret krank …«
Leprat lächelte. »Mir ist es gut ergangen vor Eurer Tür, Madame. Aber ich habe nicht geschlafen. Und ich fühle mich ausgesprochen wohl.«
»Da bin ich aber erleichtert! Das beruhigt mich doppelt.«
Die Italienerin widmete sich wieder ihrer Toilette und betrachtete ihr Spiegelbild.
»Madame, es wäre gut, wenn Ihr Euch etwas beeiltet. Euer Frühstück ist bereits serviert, und Monsieur de La Houdinière wird sicher nicht auf sich warten lassen.«
Verärgert nahm die Italienerin der Zofe den Spiegel aus den Händen. »Monsieur de La Houdinière wird sich gedulden müssen«, sagte sie. »Und in Paris, in diesem finsteren Châtelet , wo er mich so beharrlich empfangen will, wird auch Monsieur de Laffemas auf mich warten müssen. Und wenn es sein muss, wartet sogar der Kardinal auf mich!«
»Madame, ich bitte Euch …«
Alessandra betrachtete Leprat durch den Spiegel. Sie lächelte ihn an, zupfte der Form halber eine Locke zurecht, reichte ihrer Bediensteten den Spiegel zurück und erhob sich. Dann drehte sie sich zu dem früheren Musketier um.
Sie war einfach bezaubernd. Ihr recht schlichtes Kleid in Creme- und Brauntönen brachte ihre Blässe, die rötlichen Haare und ihr hübsches Dekolleté zur Geltung. Sie schien ein Kompliment zu erwarten, aber Leprat beschränkte sich darauf, seine Anerkennung durch eine leichte Verbeugung zum Ausdruck zu bringen.
Die schöne Italienerin wusste sich damit zufriedenzugeben und akzeptierte den Arm, den man ihr bot, um sie ins Vorzimmer zu geleiten.
Der große Schwarzdraq – er nannte sich Kh’Shak – zögerte ein wenig, bevor er die Tür aufstieß. Dann ging er bedächtig die Treppe hinunter, fast auf Zehenspitzen, und hielt seinen Degen fest, um nirgends anzustoßen.
Im Keller war es stickig und still. Er wurde kärglich beleuchtet von dicken, gelben Kerzen, deren Flammen beißenden Rauch freisetzten. Dort herrschte ein starker Brodem, ein Gestank, der einen Menschen abgestoßen hätte, der den Nasenlöchern eines Draq jedoch angenehm schmeichelte, ein Geruch nach Blut, Eingeweiden und rotem, abgehangenem Fleisch.
Der alte Draq mit den fahlen Schuppen saß im Schneidersitz auf dem Boden aus gestampfter Erde. Wie immer trug er die dreckigen, stinkenden Fetzen, die seine einzigen Kleidungsstücke waren. Sein Zeremonienstab mit den geschnitzten Verzierungen, an dem Federn, Knöchelchen, Schuppen, Zähne und bunte Perlen hingen, lag quer über seinen dürren Oberschenkeln. Mit geschlossenen Augen saß er unbeweglich da und schien kaum zu atmen. Vor ihm lag ein aufgeschlitztes weißes Zicklein. Um ihn herum rotteten hier und da weitere Kadaver vor sich hin, verstümmelt und teilweise verzehrt.
Kh’Shak war auf der letzten Stufe stehen geblieben und zögerte noch immer, als fürchte er sich davor, diesen Keller wirklich zu betreten, als fürchte er, einen Fuß auf diesen verschmutzten, besudelten Boden zu setzen, einen Boden, auf dem Rituale, vor denen ihm graute, vollzogen worden waren. Eigentlich war er kein Feigling. Sein Mut und seine Grausamkeit hatten ihm sogar die Häuptlingswürde beschert.
Aber Magie …
»Saaskir …«, wagte er schließlich mit heiserer Stimme zu sagen.
Saaskir . Ein Wort aus der draconischen Sprache, das sowohl Priester als auch Magier bedeutete, zwei Dinge, die in der Stammesgesellschaft der Draqs nicht unterschieden wurden.
»Ja, Kh’Shak?«, erwiderte der alte Draq. »Was gibt es?«
Der Schwarzdraq räusperte sich. Noch immer reglos, noch immer mit geschlossenen Augen, kehrte ihm der andere den Rücken zu.
»Habt Ihr sie gefunden, Saaskir?«
»Nein, mein Sohn«, sagte der Magier in dem ruhigen, geduldigen Ton, den man Kindern gegenüber gern anschlägt. »Ich habe sie noch nicht gefunden. Die Italienerin hat sieben Schleier um sich gelegt. Jede Nacht zerreiße ich einen, und bald wird sie in ihrer ganzen Blöße unter dem Auge des Drachen der Nacht erscheinen. Dann werde ich sie sehen, und du wirst der Erste nach mir sein und es endlich erfahren …«
»Danke, Saaskir.«
Kh’Shak hatte sich sorgenvoll zum Gehen gewandt, als der alte Draq ihm zurief: »Du bist beunruhigt, nicht wahr?«
Der große schwarze Draq überlegte, wie er darauf antworten sollte. Er entschied sich dafür, die Wahrheit zu sagen. »Ja, Saaskir.«
»Das ist gut. Du bist ein Häuptling.
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