Drachenkampf
verstohlen nach rechts und links um, bevor sie die Tür aufschob und zur Seite trat.
»Macht schnell«, murmelte sie. »Man kann jeden Moment bemerken, dass ich die Schlüssel genommen habe.«
Agnès nickte und ging hinein.
Sie betrat eine gewöhnliche Mönchszelle, asketisch und ohne jeden Komfort. Auf dem schmalen Bett lag Schwester Béatrice. Sie sah noch immer hübsch aus, wirkte jedoch blass und sehr mitgenommen. Sie war nur mehr ein Schatten der schönen und stolzen Burgschwester, die eines frühen Morgens an der elsässischen Grenze, ihre Klinge aus Draconit in der Hand und Beschwörungsformeln auf den Lippen, ganz allein einem mächtigen Drachen die Stirn geboten hatte.
Sie dämmerte vor sich hin.
Agnès zog den großen schwarzen Kapuzenumhang aus, der sie verhüllte, setzte sich dann neben die Schlafende und berührte ihre Hand.
Die Nonne öffnete die blinden Augen, Augen von glasigem Weiß.
»Agnès? Bist du das, Agnès?«
»Ja, Béatrice. Ich bin es.«
»Gelobt sei Gott! Endlich wurden meine Gebete erhört!«
»Mein Gott, Béatrice, deine Augen! Was ist denn nur mit dir geschehen?«
»Ach, das ist nichts … nur der Preis für … Es wird nicht anhalten, glaube ich.«
»Der Preis für was?«
»Du musst es erfahren, Agnès. Du musst es sehen, wie ich es gesehen habe!«, sagte die Burgschwester mit angsterfüllter Stimme.
Sie wollte sich auf ihrem Bett aufsetzen, doch Agnès hielt sie sanft davon ab und sagte zu ihr: »Beruhige dich, Béatrice. Du musst dich ausruhen. Ich komme ein anderes Mal wieder.«
»Nein!«, rief die andere beunruhigt. »Jetzt! Es ist zu schwerwiegend! … Gib mir deine Hände, Agnès.«
Die junge Baronin gehorchte.
»Und nun, sieh selbst … sieh«, fügte die Nonne mit immer schwächer werdender Stimme hinzu. »Du musst … es sehen …«
Ihre weißen Augen verdunkelten sich, als würden sie von einer schwarzen Flüssigkeit getränkt.
Ein Abgrund tat sich auf, in den Agnès’ Bewusstsein eintauchte.
Und sie sah.
Sie sah, was die Burgschwester an jenem Morgen im Elsass erfahren hatte, als sie den Geist des Drachen erforschte.
Sie sah bruchstückhaft eine Zukunft, die nicht nur nah war, sondern auch beängstigend.
Es ist Nacht. In Panik rennen Menschen durch Straßen, die von prasselnden Flammen erhellt werden. Das Feuer kommt vom Himmel über sie. Ein schwarzer Drache speit es. Vielleicht auch mehrere. Lodernde Strahlen treffen auf Dächer. Unter grellen Feuersäulen werden Dachziegel durch die Luft geschleudert. Brennender Regen fällt in weiß glühenden Teilchen herab. Die entsetzten Bewohner wollen fliehen. Sie schreien, sie drängeln, sie stoßen sich gegenseitig und trampeln übereinander hinweg. Ein paar Soldaten geben lächerliche Musketenschüsse in den Himmel ab. Menschliche Fackeln schlagen wild um sich. Das Inferno vernichtet ganze Viertel, und die riesigen Flammen spiegeln sich in den schwarzen Wassern eines Flusses.
Eines Flusses, der am Louvre vorbeifließt.
Zitternd und mit Tränen in den Augen sieht Agnès Paris brennen.
Paris im Jahre 1633
Legende:
A – Palais-Cardinal
B – Louvre
C – Église Saint-Eustache
D – Halles
E – Cimetière des Saints-Innocents
F – Châtelet
G – Place Dauphine
H – Palais
I – Notre-Dame
J – Hôpital de la Charité
K – Abbaye de Saint-Germain-des-Prés
L – Porte de Buci
M – Porte Saint-Germain
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