Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
peitschte.
    Anwar sprang sofort auf und rannte hinaus.
    Mein Herz raste, und ich sah plötzlich Sternchen.
    »Anwar! Lass mich hier nicht allein!«
    In Panik wollte ich hinter ihm herstolpern, als ein zweiter Schuss knallte. Die armen alten Eltern umklammerten ihre Tochter und drängten sich wie verängstigte Kaninchen an die Wand. Hatte ich sie durch meinen Besuch etwa in Gefahr gebracht?
    Mir wurde schlecht. Wir wurden verfolgt. Aber von wem?
    Mit dem Mut der Verzweiflung stahl ich mich mit Sarmina zur Hoftür und spähte hinaus. Ein junger Mann mit fliegendem Hemd und Plastiklatschen sauste gerade mit einer Kalaschnikow um die Ecke. Was sollte er hier bei der armseligen Hütte von Anwars Eltern? Warum?
    Anwar kam schwer atmend zurück, drückte die Hoftür auf und zeigte uns grinsend ein Brandloch in seiner Hose. »Der Trottel kann noch nicht mal richtig zielen!«
    »Du Anwar, das ist aber gar nicht zum Lachen! Wer hat es denn da auf dich abgesehen?«
    »Irgendeinem Idioten scheint es nicht zu gefallen, dass du mich adoptiert hast«, bemerkte Anwar immer noch keuchend. Der Junge überspielte seine Angst durch kecke Wortspielchen.
    Hastig verabschiedete ich mich von Mohammad und Sargola, drückte die kleine Schwester an mich und fuhr gemeinsam mit Assad und Anwar zu meinem alten Wohnsitz, zu Dadguls Haus. Schließlich warteten dort viele Witwen und hofften auf Hilfe – die Arbeit musste ja weitergehen.
    Im Hof drängten sich Dutzende von Frauen und Kindern und riefen nach mir. Doch von Dadgul fehlte jede Spur.
    Als sie mich aus dem Wagen steigen sahen, ertönte Jubelgeschrei.
    Es hatte sich nämlich schon herumgesprochen, dass ich bei Dadgul ausgezogen war, und sofort waren alle herbeigeschwärmt, um sich davon zu überzeugen, dass ich auch weiterhin half.
    »Sie kommt, sie ist da!«
    » Sheni Hagei! Macht Platz für die ehrwürdige Ade Sheni Hagei! «
    Im Männerhaus von Dadgul stand die Pappkiste mit den Afghani, die er für die Witwen beiseitegelegt hatte. Aber das würde bei dem heutigen Andrang nicht reichen. Deshalb griff ich beherzt griff in meinen Bauchgürtel mit den letzten zehntausend Dollar und drückte Anwar einen Großteil davon in die Hand.
    »Hier! Nimm das, und fahr damit schnellstens zur Bank! Lass dir das Geld in kleine Scheine wechseln – beeil dich!«
    »Kann ich dich wirklich alleine lassen, Ade?«
    »Ja, ich hab hier mehr Bodyguards, als ich brauchen kann, außerdem sind Assad und Agha bei mir!«
    »Passt mir auf Ade Sheni Hagei auf«, rief Anwar im Wegfahren.
    Dankesgeheul war die Antwort und lockte natürlich nur noch mehr hilfesuchende Frauen an. Hamidullah, Assad und sogar Anissa, Dadguls Tochter, sorgten für Ordnung und versuchten zu verhindern, dass man mich bei lebendigem Leibe zerriss.
    Ich schickte Assad und Hamidullah auf den Dachboden. Sie sollten die Reissäcke und Kanister mit Baumwollöl herunterschaffen. Während ich alles verteilte, fragte ich mich, wo der große Kommandante wohl steckte.
    Wie immer machte ich über dreihundert Fotos.
    »Ja, ihr Lieben, ihr kommt alle dran! Wartet noch einen Augenblick!«
    Die kleinen Scheine waren gerade ausgegangen, und Anwar war noch nicht wieder von der Bank zurück.
    »Kommt, wir machen Mittagspause.«
    Völlig erschöpft setzte ich mich in den Schatten und hob durstig eine Wasserflasche zum Mund. Zum x-ten Mal wählte ich Anwars Nummer, aber der kleine Dusselkopp hatte das Handy ausgeschaltet. Plötzlich kam mir ein furchtbarer Gedanke: Hatte er es wirklich ausgeschaltet? Das sah ihm so gar nicht ähnlich! Oder … Nein, darüber wollte ich lieber nicht nachdenken. Mein Herz begann laut zu klopfen. War ich denn wahnsinnig gewesen, den armen Anwar mit so viel Geld zur Bank zu schicken? Kurz nachdem jemand auf ihn geschossen hatte? Ich hatte den Jungen doch nicht in noch größere Gefahr gebracht? O Gott! Ich verbarg den Kopf in den Händen. Warum lief diesmal nur alles so schief? Ich wollte doch nur helfen!
    Plötzlich entstand Tumult an der Hoftür. Die Frauen, die bisher wartend im Schatten der Mauern gesessen hatten, sprangen auf, verhüllten ihre Gesichter, schnappten ihre Kinder und huschten davon.
    Aha. Ihre Großkotzigkeit Dadgul erschien, die fünf Dorfältesten im Schlepptau. Die weißbärtigen Männer nahmen umständlich im Schatten vor dem niedrigen Plastiktisch Platz. Dann fingen sie an zu diskutieren, als wäre ich gar nicht da.
    Oh! Einer von ihnen war ja Anwars Vater! Ob er Dadgul wegen der Schießerei angesprochen

Weitere Kostenlose Bücher