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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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an der Straße Bandar Khanabad in Kunduz, jemand möge ihn abholen!
    Ich schickte einen meiner Bewacher, der bereits mit der Kalaschnikow auf dem Flachdach Platz genommen hatte. Ich platzte schier vor Neugier auf Anwars Version der Ereignisse.
    Und die ging so: Auf dem Weg zur Bank war er in ein Polizeiauto gezerrt und nach Kunduz aufs Revier gebracht worden. Dort hatte man ihm vorgeworfen, vor seinem Elternhaus auf einen unschuldigen Passanten geschossen zu haben. Der habe ihn wegen versuchten Mordes angezeigt.
    »Das ist doch totaler Quatsch!« Ich schlug mir mit der flachen Hand an die Stirn. »Der hat auf DICH geschossen! Hast du denen das Brandloch in deiner Hose gezeigt?«
    »Ja, Mama, hab ich! Immer wieder! Die haben behauptet, ich hätte es mir selbst zugefügt! Ich musste meine Waffe herzeigen und beweisen, dass ich nicht geschossen habe!«
    »Anwar?!« Meine Stimme bebte. »Hast du …« Ich traute mich kaum, es auszusprechen.
    »Das Geld?« Anwar grinste. »Oh, entschuldige, es ist an einem unaussprechlichen Ort versteckt.« Anwar schlüpfte hinter den Vorhang und ich hörte, wie er in seiner Hose hantierte.
    »O Gott.« So genau wollte ich es gar nicht wissen.
    »Es ist alles noch da, wenn du nachzählen willst …«
    Am nächsten Morgen stand ein Riesenaufgebot wichtiger Männer in meinem Hof.
    Noch völlig verschlafen spähte ich aus dem Fenster. Wer waren die denn alle?
    Es waren zugegen: die Dorfältesten von gestern, die Richter (selbst ernannte wie gewählte) und zwei deutsche Journalisten, die für das deutsche Fernsehen über Katachel e . V. berichten sollten. Ach ja, die – die hatte ich ganz vergessen.
    Na, klasse! Wieder so ein Schachzug von Dadgul, die Herren gleich mitzubringen. Die Presse durfte von unserem Streit natürlich nicht das Geringste mitkriegen, dasselbe galt für die Bundeswehr. Wir waren nach außen hin der Vorzeige-verein. (Mutter Teresa zoffte sich ja auch nicht öffentlich mit ihren Mitschwestern!)
    »Liebe Mama, ich möchte dich zu meinem Geburtstag einladen«, zirpte Dadgul freundlich auf Deutsch. »Wir kochen extra für dich deutsche Bratkartoffeln, die magst du doch so gern!«
    Die Journalisten lauschten gebannt, was die böse dreinblickende Jungfer Sybille an ihrem Fenster wohl erwidern würde.
    Reiß dich zusammen, Sybille!, dachte ich. Es geht hier nicht um deine privaten Befindlichkeiten. Statt zu fauchen: »Verschwinde, du Intrigant!«, sagte ich mit dem erzwungensten Lächeln, zu dem ich jemals die Lippen verzogen hatte: »Ich komme natürlich gern!«
    Alle atmeten auf und zogen wieder ab.
    Abends saß ich dann zu meinem großen Erstaunen ganz allein in Dadguls Hof.
    »Wo sind denn die anderen? Ich denke, hier ist eine große Party?«
    »Nein. Wir feiern im familiären Kreis.« Dadgul ließ sich neben mich auf die Matratze sinken und reichte mir ein Glas Tee. »Bitte, vertragen wir uns wieder. Entschuldige, Mama«, sagte er flehend. »Ich habe mich benommen wie ein Idiot, aber das liegt daran, dass ich mich hier vor den Männern immer beweisen muss.« Er schlug die Hände vor sein notdürftig zusammengeflicktes Gesicht.
    »Mir kommen die Tränen«, sagte ich kalt.
    »Nein, Mama, es ist nur so ungewohnt für alle, dass meine Chefin eine Frau ist. Ich muss mir so viel Spott und Häme anhören! Sogar von meiner Frau Kandigol!« Auf einmal fing der Kommandante an zu weinen. »Sie sagt, ich bin ein Weichei, weil ich mir von dir so viel bieten lasse!«
    »Und deswegen bedrohst du mich?«
    »Es tut mir so leid, Mama! Das war nur so ein dummes Imponiergehabe von mir …«
    Dadgul nahm meine Hand. »Ich schäme mich. Aufrichtig. Aber das Wichtigste ist doch, dass die Arbeit von Katachel e . V. nicht gefährdet wird. Die Presse ist da, Mama. Morgen wollen sie drehen und uns beide interviewen. Bitte zieh wenigstens für die Drehtage wieder hier ein.«
    Ich überlegte. Das war kein Trick, ich hatte die Presseleute ja selbst gesehen. Wenn unser Streit öffentlich wurde, konnte Katachel e . V. dichtmachen.
    Vor meinem inneren Auge sah ich Micki, der mir ermutigend zunickte: andere Länder, andere Sitten. Mach es, Sybille. Spring über deinen Schatten. Es geht nicht um dich oder um Dadgul. Es geht um DIE SACHE .
    »Na, gut. Für die Drehtage. Und danach sehen wir weiter.«
    »Oh, Mama, du bist die Beste!« Dadgul umschlang mich ungestüm und rief dann im Befehlston über den Hof, man solle meine Sachen aus Katachel Arab zurückholen. »Die Ade Sheni Hagei bleibt!«
    Sofort

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