Drachenkinder
Frauensache.
»Mensch, Mama, was kann ich denn dafür, wenn die Weiber ihren Kosmetikkram in der Küche rumliegen lassen!«
Mit dieser saloppen Bemerkung hatte Dadgul meine Vorwürfe vom Tisch gewischt. Ich konnte seine Absicht, mich auszuschalten, nicht beweisen, aber das Misstrauen fraß mich von innen auf. Gleichzeitig zwang ich mich, Dadgul nicht zu hassen, weil mich das zu viel Energie gekostet hätte. Stattdessen musste ich dringend dafür sorgen, dass Anwar etwas lernte, damit er einen Teil der Projektarbeit übernehmen konnte. Dafür wollte ich ihn mit nach Deutschland nehmen. Von diesen Plänen durfte Dadgul natürlich nicht das Geringste erfahren. Denn dann hätte er alles getan, um das zu verhindern.
Anwar hatte auch so schon panische Angst vor Dadgul, da dieser ihm und seiner Familie bereits gedroht hatte.
Ich kam mir vor wie zu SED -Zeiten in der DDR : Überall waren Dadguls Spitzel unterwegs und berichteten ihm, mit wem ich mich traf. Anwars Brüder Tadj Mahmad und Hamed konnten wir nur heimlich nachts treffen.
Nach kurzer Zeit war unser Häuschen wieder so weit trockengelegt, dass ich erneut bei Anwar einziehen konnte. Als ich meine Sachen von Dadgul holen wollte, ging die ganze Leier mit Dadguls verletzter Ehre wieder von vorne los.
»Du wirst schon sehen, was dir dann blüht! Wir sind hier in Afghanistan, da tötet man Frauen, die etwas Unreines tun, und zwar ruckzuck!«, drohte er mir.
»Träum weiter, Dadgul.« Ich ließ ihn einfach stehen.
Am selben Abend saß ich auf dem Dach und telefonierte mit Micki. »Dadgul dreht völlig durch, er ist wie vom Teufel besessen!«
»Du stehst intellektuell und charakterlich weit über diesem Scheißkerl«, sagte mein geliebter Mann. »Wenn ich daran denke, was wir alles für ihn getan haben!«
Ich stieß ein gequältes Lachen aus.
»Egal, lass dich von dem nicht ins Bockshorn jagen. Aber es wäre mir schon recht, wenn du bald nach Hause kämst.«
»Micki, ich versuche das heimlich zu organisiseren, aber ohne Anwar fahre ich nicht.«
Ich hörte, wie Micki stöhnte. »Jetzt geht DAS wieder los.«
»Wenn ich ihn hier zurücklasse, ist das sein sicherer Tod.«
»Dasselbe hast du über Dadgul gesagt.«
»Aber …«
»Sybille, ich weiß, dass ich dich ohnehin nicht umstimmen kann. Also bring diesen Anwar mit.« Ich hörte, wie Micki im Wohnzimmer auf und ab ging. »Sieht er genauso schlimm aus wie Dadgul?«
Ich stand auf dem Dach meines wiederhergestellten Häuschens, neben mir die Wächter, die kein Deutsch verstanden, und musste schallend lachen.
»Nein, er ist ein BISSCHEN hübscher. Und Micki? Danke, dass du alles immer noch mit Humor nimmst. Wenn du mir jetzt auch noch mit Moralpredigten kämst, hätte ich gar keine Kraft mehr.«
»Setz Anwar in ein anderes Flugzeug!«, riet mir Micki. »Er wird mit Sicherheit beobachtet. Wenn ihr zusammen am Flughafen gesehen werdet, seid ihr tot. Dadgul ist ein Arschloch, aber nicht blöd. Er wird euch kontrollieren, wo er kann!«
Und so schmiedeten Anwar und ich unseren heimlichen Plan: Vor meiner Abreise sollte Anwar völlig harmlos ein paar Tage verschwinden, mit dem Taxi in den Nachbarort Nassery. Von dort dann nach Kabul und schließlich nach Pakistan. Von Islamabad würde er dann nach Frankfurt fliegen. Es war alles geregelt, Micki hatte die Einreiseformalitäten erledigt und das Flugticket hinterlegen lassen.
Wir zitterten und bangten und taten nach außen hin, als wäre alles wie immer. Dann war es so weit. Nachts um drei klopfte Anwar zaghaft an meine Zimmertür.
»Mama, ich fahr jetzt.«
»Hast du das Geld?«
»Ja, Mama. Du weißt schon wo.«
»Anwar, ich will das gar nicht wissen.«
»Warum fragst du dann?« Er grinste.
»Klappe! Die offizielle Version lautet: Deine Mutter ist krank, und du kümmerst dich um sie. Du hast sie bei Verwandten untergebracht und schaust jetzt nach dem Rechten. So wird dich ein paar Tage niemand vermissen.«
»Geht klar. Dann – inshallah , Mama. Auf Wiedersehen in Deutschland.«
»Ich hol dich in Frankfurt ab! Und wie kommst du nach Nassery?«
»Ich schleich über die Dächer!«
Wie eine Katze kletterte Anwar aus meinem Fenster, zog sich an der Dachrinne hoch und verschwand lautlos.
Ich konnte nicht wieder einschlafen. Würde Anwar es schaffen? Was für ein Abenteuer stand ihm bevor? Ich erklomm ebenfalls das Flachdach und setzte mich in die klare Nacht. Meine Decke hatte ich mitgenommen. Ich bewunderte die Sterne, sah zum Nachbardorf Nassery hinüber,
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