Drachenkinder
sie das wirklich? Dadgul hat mächtige Freunde, auch in der Regierungsverwaltung. Was, wenn die zwei Paar Unterlagen ausgestellt haben: Fälschungen mit Stempel für mich und andere, in denen sie die schönsten Grundstücke auf Dadguls Namen eintragen?«
Ich erzählte Micki von Rahima, die ich seit der letzten Begegnung nicht mehr gesehen hatte und um die ich mir große Sorgen machte. Und ich äußerte meinen Verdacht, dass sie das Haus, das wir für sie gebaut hatten, gar nicht wirklich bekommen hatte. Aber wie sollte ich das von Deutschland aus beweisen?
»Wenn das wirklch stimmt, darf Dadgul die Baupojekte auf keinen Fall weiterführen! Dann musst du sämtliche Vereinsgrundstücke einem Mann deines Vertrauens überschreiben.«
»Und jetzt rate mal, wer das sein wird.«
»Doch nicht etwa Anwar?!«
»Fällt dir jemand Besseres ein?«
»Hm, lass mich überlegen … Nein.« Micki grinste. »Sybille, du wirst aus der Mücke Anwar noch einen Elefanten machen!«
»Genau.« Fest entschlossen stand ich auf. »Ich arbeite Anwar jetzt sechs Monate lang ein. Und zwar als vollständigen Ersatz für Dadgul. Aber das geht nur, wenn ich ihn völlig ausschalten kann. Und dafür muss ich ihm erst mal nachweisen, dass er wirklich Vereinsbesitz veruntreut hat …« Erschöpft legte ich den Kopf auf die Tischplatte.
Dadgul durfte von meinem Misstrauen nichts mitbekommen, deshalb übertrug ich ihm die Aufgabe, hundert Badezimmer zu bauen. »Dadgul, ich schicke dir hunderttausend Dollar für Badezimmer.« Ich redete mit ihm genau wie vorher, schließlich musste mein Projekt weiterlaufen. Scheinheilig fragte ich auch mal nach Anwar – aber der war laut Dadguls Aussage in Pakistan. (Ha, ha, gut gemacht!, feixte ich innerlich.)
43
Eines Morgens kam Anwar aus seinem Zimmer geschossen: »Mama, mein Bruder Nias wurde ins Geheimdienstgefängnis gebracht!«
»Das kann doch gar nicht sein! Was hat er denn getan?«
»Nichts! Er wollte auf dem Basar in Kunduz ein paar Besorgungen machen, als er in ein vergittertes Auto gezerrt wurde!«
Anwar weinte vor Verzweiflung, und auch mir kamen die Tränen. Das war nicht hinzunehmen. Ich rief Dadgul an. »Du musst sofort zu Atrafi, dem Geheimdienstchef! Er soll Nias freilassen! Das geht zu weit, Dadgul!«
Doch Dadgul erwiderte nur: »Da kann ich nichts machen, das war die Al Qaida!« Anschließend legte er auf.
Ich musste handeln. Ununterbrochen rief ich selbst beim Geheimdienstchef Atrafi an und auch bei Dadguls Freund Osman – beides Männer, die bei mir schon Nudeln und Paradiescreme gegessen hatten. »Lasst Nias frei, er ist einer von den Guten!«
Osman erreichte immerhin, dass Nias Besuch von seinem Bruder Tadj bekommen durfte.
Nias berichtete von Folter. Warum? Mein Herz wollte schier zerspringen. Ich kannte und mochte den Jungen! Der tat keiner Fliege was zuleide! Treu und loyal hatte er in den letzten Monaten jede Nacht auf meinem Dach gesessen, um mich zu bewachen!
Ja. Das war es! Weil er einer von meinen Leuten war. Darum taten sie ihm das an. Und wer hatte sie dementsprechend aufgestachelt? Dadgul! Eine andere Erklärung gab es dafür nicht.
Es war zum Wahnsinnigwerden!
»Wie viel wollt ihr für ihn haben?«, schrie ich unter Tränen ins Telefon. »Ich zahle Kaution für Nias!«
Auf dem Ohr waren sie nicht taub. Für viertausend Euro ließen sie Nias frei. Gerade noch rechtzeitig, denn er stand kurz davor, nach Pul-i-Tscharchi, dem Zentralgefängnis Afghanistans für Terroristen, verlegt zu werden. Und das hätte er nicht lebend verlassen.
Dadgul tat natürlich so, als hätte er mit alldem nichts zu tun.
Es wurde September, und ich bereitete meine nächste Reise vor. Ich wollte erst mal ohne Anwar nach Katachel, um die Lage zu sondieren. Außerdem wollte ich mir die neu gebauten Badezimmer ansehen und fotografieren. Kurz bevor ich fliegen sollte, zeigten die Nachrichten Bilder von einem Tanklasterangriff bei Kunduz durch die Flugzeuge der internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe. Am Tag darauf sagte mir die Bundeswehr, dass sie mich nicht nach Kunduz mitnehmen könne, da sich die Sicherheitslage deutlich verschlechtert habe.
Ich überlegte hin und her. Dann rief ich Dadgul an: »Schick mir bitte die Badezimmerfotos und Quittungen per E-Mail, denn leider kann ich nicht kommen. Ich muss aber die Abrechnungen machen – du weißt ja, wie das läuft.«
»Ja, klar Mama, mach ich«, beruhigte mich Dadgul.
Ja, und dann kamen sie auch, die Fotos und Quittungen per
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