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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Mutter, das hast du nun davon!
    Unser Herr Dauergast verfügte nun über ein geräumiges eigenes Gästezimmer mit Doppelbett, eigenem Bad mit Dusche, Wanne und Toilette und eigenen Möbeln wie Couch, Tisch, Stühle, Regale und Schrank. Ratlos stand er vor seinem neuen Reichtum und konnte es gar nicht fassen. Immer wieder ging sein Blick suchend umher: »Wo sind denn die andern alle?« In Afghanistan hatte er mit Frau und fast vier Kindern in einem winzigen Zimmer gelebt, das Haus teilten sich dreißig Personen. Außerhalb des Hofes gab es für sämtliche Familienmitglieder ein Plumpsklo, und von fließendem Wasser, einer Badewanne gar – er hätte seine Kalaschnikows darin gelagert –, einer Wasch- oder Spülmaschine hatte er noch nie geträumt!
    Aber wir wohnten hier nur zu viert plus Dackel, den er für unrein hielt. Er konnte einfach nicht verstehen, dass wir den auch noch fütterten und, wie pervers, bei Bedarf zum Tierarzt brachten! Die Geräusche von Staubsauger, Föhn und Trockner erschreckten ihn. Anfangs klammerte er sich immer erschrocken an mich, wenn wieder so ein Teufelsapparat ertönte. Das Geräusch, das der Computer beim Einschalten machte, ließ ihn ängstlich zusammenzucken.
    Da die Kinder mich »Mama« nannten, war das ebenfalls sein erstes deutsches Wort. Der tapfere Krieger wurde zum hilflosen Kleinkind: »Mama!« Dann kam ich, tröstete ihn und erklärte ihm, wie harmlos das alles war.
    Eine vollkommen neue Welt tat sich vor ihm auf. Doch wie jeder auf dieser Welt gewöhnte er sich erschreckend schnell daran. Besonders das Duschen gefiel ihm. Bis zu viermal täglich verweilte der Herr Kommandant unter dem heißen Wasserschwall und aalte sich im Schaum. Wer wollte es ihm verdenken?
    An unseren disziplinierten Tagesablauf musste er sich auch erst mal gewöhnen. Ein WECKER ?! Was war DAS denn? Und wozu? Aufstehen? Sich beeilen? Zum Dienst, zur Schule, zum Sport? Pünktlich? Hä? Es war doch kein Krieg!
    Simon war wie gesagt begeisterter Fußballer, und Vanessa trainierte fünfmal in der Woche Kunstturnen. Außerdem gingen beide Kinder zweimal wöchentlich zum Schwimmen. Ich war einfach keine Mutter, die ihre Kinder stundenlang vor dem Fernseher hängen ließ. Bei mir wurde angepackt, sich bewegt, die Zeit sinnvoll gefüllt.
    Da Dadgul sich ohne mich im Haus fürchtete (und sich alle im Dorf vor ihm), nahm ich ihn kurzerhand immer mit zum Training. Da saß er dann am Schwimmbadrand oder in der Turnhalle und starrte meine trainierenden Kinder an, die ganz in ihrem Element (und damit glücklich) waren. Das war alles zu viel für ihn. Dass Kinder, besonders Mädchen und junge Frauen, sich völlig ungeniert in Bade- und Turnanzügen bewegten, mit nackten Armen und Beinen und unbedeckten Haaren, machte ihn anfangs völlig fertig. Er wusste gar nicht, wo er hinschauen sollte. Deshalb drückte ich ihm anfangs auch ein Computerspiel in die Hand. (Sicherlich hätte unsereiner sich genauso unwohl gefühlt, wenn er ständig Kinderpornos hätte schauen müssen. Das verletzte einfach permanent sein Ehrgefühl und seine Vorstellung von Anstand.)
    Damit erst gar kein Heimwehblues bei ihm aufkam, übertrug ich ihm gleich ein paar wichtige Aufgaben im Haushalt: Ich ernannte ihn zum »Gartendirektor«, sprich, »Unkrautingenieur«, was er mit Feuereifer übernahm. Aus Mickis alten Beständen suchte ich Gummistiefel, Jeans, Männerhandschuhe, Spaten, Rechen hervor, und schon hatte Dadgul etwas Sinnvolles zu tun, das auch seine Mannesehre nicht verletzte. Auch zum »Müllingenieur« wurde er feierlich ernannt, und samstags zum Gossefegen und Gullyreinigen.
    »Mama!« In Panik kam Dadgul mitsamt seinen dreckigen Stiefeln ins Wohnzimmer gestürmt, wo ich gerade mit Vanessa Klavier übte. Die Todesangst stand ihm ins Gesicht geschrieben. Und Vanessa die Unlust.
    »Dadgul! Wie oft habe ich gesagt, Schuhe aus und Hände waschen, bevor du ins Wohnzimmer kommst …«
    Dadgul stieß gurgelnde Angstlaute aus und zeigte auf den Nachbargarten, der einem Bauern gehörte. Erfreut klappte Vanessa den Klavierdeckel zu. Was waren das denn für nackte Tiere?
    »Ja. Da sind Schweine drin. Na und?« Ich stand auf und ging zum Fenster.
    »Schweine? Das sollen Schweine sein, die sind doch schwarz und leben im Wald?«
    Die Muttersau von nebenan hatte gerade zwölf niedliche Ferkel geworfen, und die rosige Kinderschar balgte sich dort quietschend um die Zitzen.
    »Ist doch niedlich, was hast du denn?!«
    Ein Horrorszenario für Dadgul!

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