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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Asa, unser Dackelweibchen. Asa schnupperte an seinem Bein und wollte sich gleich damit paaren.
    Dadgul, der Kinder, und erst recht weibliche Kinder, nicht zu beachten pflegte – von Hunden ganz zu schweigen, die in seinen Augen nicht in eine Küche, sondern auf die Straße gehörten – schob den Dackel wie ein lästiges Insekt beiseite und wandte sich dem eigentlich Spannenden zu: Einer warm gemachten Reissuppe von Aldi. Begeistert sprang er auf, wühlte in seiner Reisetasche und kam mit etwas wieder, das mir den Schrecken in die Glieder jagte: Es war eine Schnabeltasse. Dadgul bedeutete mir, die Suppe mit der Kelle in das schicke beige Plastikaccessoire zu füllen, damit er sie genüsslich daraus schlürfen konnte.
    Aber NICHT mit mir. Nicht mit Sybille Schnehage. Hier galten MEINE Regeln. »Wir essen mit Besteck!« Ich hielt ihm den Teelöffel unter die Nase.
    Er schob meinen Arm weg und wedelte auffordernd mit der Schnabeltasse.
    Die Suppe dampfte verführerisch. Maggigeruch breitete sich in der Küche aus, dass Dadgul das Wasser im Mund (?) zusammenlief. Dackeldame Asa jaulte gierig.
    »Arrghhh«, gurgelte Dadgul hungrig. Die Frau gehorche, wenn der Kommandant zu speisen wünscht!
    Nö. Dadgul hatte seine erste Lektion zu lernen. Ich griff nach der Schnabeltasse, entriss sie ihm und rannte damit in den Flur, wo ich sie in der Innentasche eines dort hängenden Skianoraks versteckte. Da Dadgul vermutlich nicht so schnell Ski fahren würde, würde er sie nie und nimmer finden.
    Vanessa verfolgte unseren wortlosen Disput mit großen Augen. Das hier war doch ungleich spannender als Simons Gruselfilm!
    Entgeistert starrte Dadgul mich an. Der Suppenduft zog ihm in die Nase beziehungsweise in das, was davon übrig war. (Nicht von der Suppe! Von der Nase!) Eine auf ihn gerichtete Kalaschnikow ließ ihn wahrscheinlich kälter als eine Frau, die ihm die Schnabeltasse wegnahm.
    Aber ich blieb unerbittlich. Bei uns herrschten ein paar grundsätzliche Benimmregeln.
    »Los, Dadgul, Mund auf!«
    Das war gemein, denn der »Mund« war sowieso schon auf: Mangels Lippe konnte er ihn nicht schließen, und da ihm auch noch ein Stück Zunge fehlte, konnte er die Suppe nicht vom Löffel nehmen. Also flößte ich ihm Schlückchen für Schlückchen von dem köstlichen Gebräu ein.
    »Guck mal Mama, Dadgul hat Haare am Gaumen!« Vanessa betrachtete ihn mit einer Faszination, die Kinder entwickeln, wenn sie einen Wurm vierteilen.
    Dadgul schlürfte und schlabberte, und Dackelweibchen Asa schlemmte zu seinen Füßen. Sie liebte ihn vom ersten Moment an. Er war und blieb über Jahre ihre Futterquelle.
    »So Dadgul. Und jetzt du.« Auffordernd hielt ich ihm den Löffeln hin, und er aß wie ein Schaufelbagger.
    Plötzlich lichtete sich sein zorniger Gesichtsausdruck, und auch wenn kaum Mimik möglich war, leuchteten doch seine Augen: Dies war die erste Mahlzeit, die Dadgul seit über einem Jahr selbständig zu sich genommen hatte!
    Ja, ich war grausam gewesen. Aber was nützte das ganze mitleidige Getue? Was Dadgul brauchte, war Hilfe zur Selbsthilfe. Dies war und blieb immer mein Motto, für das mir Dadgul noch dankbar war. Ich sollte ihm noch ganz andere Sachen beibringen – angefangen von der Benutzung von Klopapier (Afghanen seines Landstrichs verwenden Steine zum Hinternputzen) bis hin zum Autofahren, aber davon später.
    Nachdem er die ganze Dose Reissuppe vertilgt hatte – na ja, mit tatkräftiger Unterstützung von Asa –, schlurfte der Herr Kriegskommandant satt und zufrieden ins Wohnzimmer, ließ sich dort auf den besten Fernsehsessel fallen und starrte auf den Gruselfilm. Simon wiederum starrte auf Dadgul, und Vanessa kletterte vertrauensvoll auf seinen Schoß.
    Als Micki nach Hause kam – ich wischte gerade den Küchenfußboden –, steckte er nur kurz den Kopf ins Wohnzimmer, fand seinen Fernsehsessel besetzt vor und stapfte die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer.
    Später, im Badezimmer mit Vanessa allein beim Zähneputzen vor dem Spiegel, fragte ich sie: »Sag mal, hat dir das denn gar nichts ausgemacht, gleich so mit Dadgul – zu schmusen?«
    »Eigentlich doch«, sagte Vanessa treuherzig. »Aber wenn ich mich ekel und sage, ›iiihhh, wääähh, ist der widerlich‹, dann ist der doch traurig!«
    Dafür liebte ich mein Töchterchen ganz besonders.
    Simon verarbeitete die Ankunft seines neuen »Brüderchens« übrigens auf seine Weise: Obwohl er sonst ein As in Mathe war, schrieb er am nächsten Tag eine glatte Fünf: So,

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