Drachenkinder
UNREINE Schweine, vom Koran streng verboten, im Nachbargarten! Nacktes, rosa Borstenvieh!
»Ach, Dadgul!« Jetzt musste ich aber lachen. »Soll die Muttersau sich etwa verschleiern, oder was!« Gut, dass hier weit und breit keine Kalaschnikow war. Er hätte da ein ordentliches Gulasch zusammengeschossen.
»Komm mit, ich mach euch bekannt!«
Ich winkte auffordernd mit der Hand, aber Dadgul, der Held, versteckte sich mitsamt Hacke und Spaten hinter dem Wohnzimmervorhang.
»Komm schon! Die Muttersau fällt ja auch nicht in Ohnmacht, wenn sie DICH sieht!«
Ich nahm ein paar pralle Äpfelchen, stiefelte, gefolgt von Vanessa, rüber zum Nachbargarten und bot der drallen Muttersau diesen Vitaminkick an. »Wir Mütter müssen zusammenhalten, nicht wahr, Ulrike? Und lass dich bloß nicht von meinem Gast beleidigen. Bei denen zu Hause sitzt der Busen halt nicht so straff.«
Ulrike knurpselte begeistert.
Dagdul ekelte sich schrecklich.
»Ich weiß gar nicht, was du hast, Dadgul«, rief ich fröhlich. »Du isst genauso!«
»Und machst genau solche Geräusche dabei!«, schrie Vanessa begeistert. »Komm rüber, du Weichei! Wir sagen ja auch nicht zu dir, du bist unrein!«
Später, als die Ferkel größer waren, kamen sie täglich durch ein Loch im Zaun zu uns herüber, um Äpfelchen zu knurpseln. Und wer bückte sich und streichelte die kleinen Nackedeis mit einer Mischung aus Faszination und Grauen? Richtig. Unkrautminister Dadgul. Ich machte heimlich vom Schlafzimmerfenster ein Foto von ihm. So, Freund der Berge. Das wird in Afghanistan niemand gern sehen. Jetzt hab ich was gegen dich in der Hand!
»Obwohl …«, sagte meine superschlaue Vanessa: »Im Koran steht nur, dass man Schweine nicht ESSEN darf. Da steht nicht: Man darf Schweine nicht STREICHELN .«
Ich lachte. »Als wenn in Afghanistan auch nur eine SAU auf die Idee käme!«
»Das ist ebenso abwegig, als wenn bei uns in der Bibel stünde: ›Du sollst nicht mit einem Schwein Flöte üben‹«, mutmaßte ich. Vanessa nickte ernst. »Und schon gar kein Klavier.«
Doch wir hatten nicht immer so viel zu lachen. Nachdem Dadgul etwa eine Woche bei uns war, bemerkte ich, dass seine Sprachkanüle am Rand verschmiert war. Von Tag zu Tag wurde diese Schicht aus getrocknetem Schleim dicker, und ein übler Geruch ging vom Tubus aus. Uns verging beim Essen der Appetit. An sein nervtötendes Geschlürfe hatten wir uns inzwischen gewöhnt.
»Dadgul, geh mal dein Dings sauber machen, hier hast du ’ne Kukident.«
Dadgul wusste nichts damit anzufangen. Kukident, Schwein – alles unrein.
»Komm mal mit, Dadgul.« Ich zog den armen Kerl in sein Badezimmer und versuchte, seine Sprech- und Schluckkanüle mit einem Wattestäbchen zu reinigen. Puh. Das Schwein Ulrike von nebenan war ein Appetithäppchen dagegen.
Dadgul zuckte unter Schmerzen zusammen.
»Nee, Dadgul, so geht das nicht.«
Dadgul erklärte mir irgendetwas, das ich nicht verstand.
»Also, Dadgul, da kommen wir jetzt nicht drum rum. Das Ding muss raus und in ein heißes Wasserbad mit Desinfektionsmitteln.« Ich hielt die Luft an. Dadgul auch.
Dadgul begann das blaue Klebeband zu lösen, mit dem die Kanüle am Hals fixiert wurde. Dann zog er sie langsam aus dem Hals. Jetzt konnte er gar nicht mehr sprechen, noch nicht mal mehr Dari, sondern nur noch Handzeichen geben. Wir waren zwar ganz vorsichtig gewesen, aber die Kanüle hatte die Öffnung dennoch verletzt, und der Hals begann zu bluten.
»Scheiße, Dadgul!«, schrie ich in Panik. Ein schmales Rinnsal floss über Dadguls Brustbein und meine Hände. Mit Zellstoff versuchte ich die Blutung zu stillen. Dadgul bedeutete mir mit Mimik und Gestik, was zu tun war. Ich musste unbedingt verhindern, dass Blut in die Luftröhre gelangte. Immer wieder war der Zellstoff blutgetränkt, bis sich die verletzten Gefäße endlich wieder schlossen.
Erschöpft sank Dadgul auf den Badewannenrand, während ich mit einer alten Zahnbürste (also nicht mit meiner, keine Sorge!) die Sprachkanüle reinigte. Das empfindliche Plättchen durfte dabei nicht beschädigt werden. Dann eine Runde Kukident, sprudel sprudel, und dann das Ganze wieder rückwärts. Mit zitternden Fingern schob ich den gereinigten Tubus wieder in Dadguls Luftröhre – bloß nichts wieder verletzen! – und befestigte das blaue Klebeband an seinem Hals.
Uff. Geschafft. Nun war ich an der Reihe, zitternd auf den Badewannenrand zu sinken. »Mann, Dadgul, das war knapp.«
Dadgul murmelte etwas Zustimmendes.
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