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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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sämtliche Salatköpfe abrasiert und täglich dreißig Salamistullen zur Strecke bringt. Aber so einen … Mit diesem zerschossenen Gesicht?«
    Und wenn ich dann sagen würde: »Also bitte, Micki, auf das Aussehen kommt es doch gar nicht an! Der Charakter ist wichtig!«, dann würde er sagen: »Ah, ein Gutmensch also! Wie viele Russen hat der noch gleich mit seiner Kalaschnikow niedergemäht? Ach, nur ein Dutzend Menschen hat der ermordet? Sybille, geht’s noch?«
    Aber Micki war wie immer sehr souverän. »Du weißt schon, was du tust«, lautete sein einziger Kommentar.
    Die Kinder reagierten sehr unterschiedlich. Simon war mehr als zurückhaltend, als ich ihm von seinem neuen Gastbruder berichtete. »So alt schon? Was? Und scheiße sieht der auch noch aus?«
    Vanessa ließ erst mal alles gelassen auf sich zukommen. »Mama, wenn du den liebhast, dann hab ich den auch lieb.«
    Na ja!, dachte ich. LIEB habe ich den nicht gerade, aber erstens hat er niemanden sonst auf der Welt, und zweitens hat die Prinzessin im Märchen ja auch den Frosch geküsst. Die Geschichte vom Prinzen, der dann von der Wand fiel, ist ja hinlänglich bekannt. Außerdem ging es darum, dieser geschundenen Kreatur zu helfen, die unsere Sprache nicht kannte und ohne mich keine Zukunftschancen hatte. Was hatte der denn gelernt außer schießen? (Na gut, das andere, was sich so ähnlich schreibt, auch. Aber das war auch schon alles!)
    Mit Herzklopfen stand ich am Flughafen Hannover. Ich hatte mich sogar fein gemacht. Wo andere Frauen vielleicht auf einen tollen Mann warteten, galt mein gespannter Blick nicht den Geschäftsreisenden in Zwirn und Krawatte, sondern dem mageren jungen Mann dort, dessen Karohemd und Jogginghose mir irgendwie bekannt vorkamen: Das waren Mickis ausrangierte Klamotten, die ich meinem afghanischen Patienten mit ins Krankenhaus gebracht hatte. Ja, hätte er seinen Flug denn in seinem zerfledderten Kämpferkittel mit Turban und Pluderhosen antreten sollen? Er sah mich, hob schüchtern den Arm und winkte. Ich hüpfte fröhlich auf und ab und rief begeistert: »Juhuuu!«
    Mit Mundschutz und Reisetasche schlurfte er auf mich zu. Sybille!, dachte ich. Jetzt kannst du nicht mehr zurück. Du kannst ihn nicht umtauschen wie ein Kleidungsstück, das nicht passt. Ich spürte, dass sich mein Leben von nun an grundlegend verändern würde. Ich war jetzt für ihn verantwortlich.
    Als ich mich hinters Steuer plumpsen ließ, sah er sich hilfesuchend um. »Wo ist hier der Motorwan , der Fahrer?« Nach irgendeinem männlichen Wesen, das mir das wahnsinnige Ansinnen, das Lenkrad auch nur anzufassen, austreiben würde. Wenn nötig mit Peitschenhieben.
    Ich drehte den Zündschlüssel und ließ den Motor an.
    In seinen Augen glomm Verzweiflung. Ja, wie jetzt? Die will doch nicht ernsthaft Auto fahren?
    »Komm schon, Dadgul! Steig ein!« Ich beugte mich vor und stieß die Beifahrertür auf. »Worauf wartest du noch? Chauffeur habe ich keinen!«
    In banger Erwartung krabbelte Dadgul in mein Auto. Ich schloss den Sicherheitsgurt über seinem mageren Körper und spürte förmlich wie er errötend die Luft anhielt. Das ging ihm schon wieder entschieden gegen seine Kommandantenehre.
    »Prima siehst du aus, Dadgul!«, log ich tapfer, setzte den Blinker und reihte mich in den Berufsverkehr ein. »Da haben die schwäbischen Flicker gute Arbeit geleistet!«
    (Er verstand mich sowieso nicht, aber der Ton macht die Musik.)
    Jawoll, hier wird nicht rumgezärtelt!, dachte ich wild entschlossen, während ich Gas gab und auf die Überholspur wechselte. Von wegen du Armer und heile, heile Segen: Dadgul krallte sich röchelnd an die Haltegriffe. Ich gab noch ein bisschen mehr Gas und lachte. Dadgul hatte noch nie eine Frau am Steuer gesehen! Da sollte er doch was geboten kriegen für sein Geld!
    Zu Hause angekommen, wurde er von meinen Eltern zurückhaltend begrüßt. Sie fanden, dass ich es ein bisschen übertrieb mit der Nächstenliebe. Simon starrte seinen neuen »Bruder« entsetzt an und entschwand traumatisiert ins Wohnzimmer, wo er sich vor den Fernseher warf und ein Gruselvideo einlegte (zur Beruhigung).
    Vanessa umtänzelte den Neuen auf der Küchenbank, drehte sein Gesicht ins Licht, betrachtete alle von mir bereits ausführlich anmoderierten Narben mitsamt Beinhaaren und Zahnkatastrophen und piepste dann, ganz Mutter Teresa: »So schlimm siehst du doch gar nicht aus, Dadgul!«
    Das einzige Familienmitglied, das sich nicht heimlich vor Dadgul ekelte, war

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