Drachenkinder
was?«
Dankbar sah ich meinen Mitstreiter an. »Ja, Vati. Ich meine es ernst. Ich kann einfach nicht untätig bleiben.«
Vater drehte sich zum Schrotthändler um und streckte ihm die Hand hin.
»Sechzig. Mein letztes Wort.«
»Na meinetwegen!« Der Kerl sackte die Kohle ein und stapfte kopfschüttelnd davon.
Stolz zogen wir mit unserer Ausbeute ab. Immerhin: Das Kinderfahrrad hatten wir auch noch dazubekommen.
Nur drei Tage später stand Vati mit dem Ergebnis seiner Bemühungen bei uns am Gartenzaun: »Schaut mal hier, fährt wieder.« Stolz führte er uns den Rollstuhl vor.
»Ich will!«
»Ich will auch mal!«
Simon und Vanessa ließen sich hineinplumpsen und einmal um unser Grundstück schieben.
»Und wohin jetzt damit?« Michael kratzte sich am Kopf.
»Nach Tunesien!«
»Adresse?«, fragte Michael amüsiert. »Bettler ohne Beine, Schlachtplatz, Zarzis?!«
Wütend raufte ich mir die Haare. »Kinder, hört auf zu streiten, ich muss nachdenken!«
»Ihr Lieben, ich hab eine Adresse!« Mein Vater faltete mit gewichtiger Miene einen Zettel auseinander. »Habt ihr gestern zufällig die ZDF -Sendung über Afghanistan gesehen?«
Micki und ich zuckten die Achseln. »Nö.«
»Grauenvolle Zustände da! Was die Russen mit ihren Sprengsätzen und Granaten da angerichtet haben …« Er schüttelte den Kopf, und seine Lippen wurden ganz schmal. »Die armen Menschen! Hungernde Flüchtlinge, schlimme Kriegsverletzungen, Kinder ohne Eltern …«
»Vati …« Betroffen legte ich meine Hand auf seine Schulter. Er war sichtlich mitgenommen.
»Hilfe für Afghanistan.« Mein Vater zeigte auf den Zettel. »Die haben eine Adresse in Berlin eingeblendet. Dorthin kann man spenden.«
»Geld haben wir keines«, wandte Micki ein. »Wir bauen gerade ein Haus und haben nur ein Gehalt.«
Als die Kinder kamen, hatte ich meinen Beruf als Diplomphysikerin aufgegeben, um ganz für sie da zu sein.
»Aber dieser Rollstuhl!« Mein Vater zeigte auf sein Meisterwerk. »Den könnte man dorthin schicken.«
»Ach, Schwiegervater!« Micki stieß ein unfrohes Lachen aus. »Mit der Post oder was?« Er warf die Hände in die Luft: »Adresse: armer Krüppel in Afghanistan.«
»Micki«, rief ich entrüstet aus. »Wenn alle so denken würden, ändert sich nie was auf dieser Welt!«
»Es DENKEN alle Leute so.« Micki strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Jeder sagt, ach, das hat doch sowieso keinen Zweck. Jeder beruhigt sein Gewissen, indem er ein paar Mark spendet, an Weihnachten vielleicht, und wenn möglich, setzt er seine Spende von der Steuer ab. Und dann steckt er den Kopf in den Sand und kümmert sich wieder um seine eigenen Angelegenheiten.«
»Bis wieder so eine Dokumentation im Fernsehen kommt«, seufzte mein Vater. »Dann sind alle ganz furchtbar betroffen und schütteln die Köpfe, schimpfen auf die Kriegsverbrecher und Machthaber dieser Welt.«
»Und gehen zur Tagesordnung über«, sagte ich anklagend. »Vanessa, Simon, nicht so wild! Ihr macht mir ja den Rollstuhl schon wieder kaputt!«
»Also, ich lass euch jetzt eure Kinder erziehen.« Vater winkte mit dem Zettel: »Ihr hört von mir!«
Eine Woche später – ich schälte gerade Kartoffeln und spähte immer mal wieder aus dem Fenster, um die Kinder im Blick zu behalten – fuhr ein alter, klappriger VW -Bus mit Berliner Kennzeichen bei uns in Bergfeld vor.
Der junge, hochgewachsene dunkelhaarige Mann, der kurz darauf an der Tür klingelte, stellte sich in nicht ganz akzentfreiem Deutsch als Geschäftsführer des Vereins »Hilfe für Afghanistan«, kurz HFA vor.
»Hallo, Khalid Wakili mein Name. Ich hab gehört, hier ist ein Rollstuhl abzuholen?«
»Oh. Ja. Ähm … Simon und Vanessa, hört auf im Garten Rennen zu fahren und bringt das Ding mal her!«
Maulend schoben die beiden Kamikazefahrer ihr lieb gewordenes Spielzeug über den noch neuen Rasen. »Och, Mann eh! IMMER muss ich gleich alles wieder abgeben!«
»Der macht so’n Spaß!«, lispelte Klein Vanessa.
»Ja, aber andere Menschen können ihn besser gebrauchen!« Khalid Wakili ging in die Hocke und erklärte den Kindern, wie schlecht es manchen Menschen ging, die keine Beine mehr hatten.
Die Kinder nickten verständig. Sie erinnerten sich noch sehr gut an die armen Bettler in Tunesien. Bereitwillig trennten sie sich von ihrem Gefährt.
Khalid Wakili verlud den Rollstuhl in seinen Bus. »Leider habe ich keine Zeit mehr, Frau Schnehage. Aber Sie können mir glauben, die Not in den Flüchtlingslagern
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