Drachenkinder
nachgelaufen, und ich fand, das gehörte sich auch so.
Als weitere drei Stunden später endlich der arme Nasrullah im Polizeifahrzeug aus dem verpesteten Ofenrohr rollte, sah er, wie Dadgul und ich auf einer Eisbahn laut lachend um die Wette schlitterten. Ja, was sollte ich denn sonst tun, da oben auf dem zugigen Pass? Bewegung macht warm, das weiß doch jedes Kind! Ein komisches Gefühl bekam ich erst, als ich im Sommer darauf wieder dort entlangfahren sollte und überall neben der Straße rote Steine zu sehen waren: Steine, die auf Gefahr hinweisen. Minenräumer mit Detektoren waren dabei, dort Überreste des Krieges zu beseitigen, wo wir sorglos herumgeschlittert waren: O weia – das hätte auch schiefgehen können.
Schließlich gelangten wir ans Ziel unserer Reise und waren in Kunduz, bei General Farid, dem Machthaber der Provinz nach der Eroberung durch die Nordallianz, der uns unseren verdammten Geländewagen geklaut hatte!
»He, Mann! Das war nicht rechtens! Rück den Wagen wieder raus!« Ich baute mich vor ihm auf und sprach so würdevoll, wie es mir in der Landessprache möglich war: »Wir sind eine international anerkannte Hilfsorganisation! Katachel e . V. Bergfeld! Schon mal gehört?«
Nein. Hatte er natürlich nicht. Und dass eine kleine blonde Frau es wagte, in sein Reich einzudringen und auch noch die Rückgabe ihres Eigentums forderte, war für den General schon starker Tobak.
Äußerst widerwillig gab er mir schließlich eine Bescheinigung, mit der ich wieder nach Kabul fahren und meine Ansprüche belegen sollte.
Na, der hatte Nerven! Jetzt reichte es mir aber. Nochmal fuhr ich bestimmt nicht durch diesen Tunnel!
»Ihr bringt mir das Auto, verdammt noch mal, selbst zurück! Morgen steht es wieder in Katachel, klar?!«
Noch während ich nach den richtigen Worten suchte, um dem Kerl klarzumachen, dass ich es ernst meinte, flog die Tür auf, und ein aufgeregter Lehrer von meiner Schule in Katachel schneite herein:
»Schnehage, komm schnell! Da sind Leute von der UNICEF in deiner Schule und kleben überall ihre Aufkleber drauf! Sie haben ein Filmteam dabei!«
Jetzt platzte mir aber endgültig der Kragen. » WAS ? Sind die noch ganz dicht?«
Hier schien sich einfach jeder fremdes Eigentum unter den Nagel reißen zu wollen, und da bildete die weltberühmte Hilfsorganisation UNICEF vielleicht keine Ausnahme!
Aber das ließ ich nicht gelten.
Den General nicht weiter beachtend, rief ich Dadgul zu: »Lauf auf den Basar und kauf Farbe: Schwarz, Rot, Gelb. Wir überpinseln die UNICEF -Aufkleber einfach mit der deutschen Flagge!«
Bis spät in die Nacht hinein schufteten Dadgul und ich – woraufhin das Filmteam dann am nächsten Tag darauf verzichtete, unsere Schule fürs europäische Fernsehen abzulichten.
»Blödmänner!«, schrie ich ihnen wutentbrannt hinterher. »Hat es ein Riese nötig, bei einem Zwerg zu schnorren?!«
In dem Moment bebte die Erde. Alles erzitterte, und ein merkwürdiges Dröhnen ertönte. Zürnte Allah mir? Was war denn jetzt schon wieder los?
»Hilfe, ein Erdbeben, ein salselah! «
Dadgul packte mich und schleifte mich über den Schulhof.
»Verdammt, die Erde wackelt!«
»Pass auf, wo du hintrittst, Mama!«
»Scheiße, Dadgul, ich hab für heute genug Stress gehabt!«
Es schwankten die Bäume, und ich sah, wie Lehmstücke von einzelnen Häusern herabfielen. »Oh, Dadgul, unsere Schule!«
»Es ist nicht so schlimm!« Dadgul zog mich keuchend weiter. »Wir haben das hier öfter, dieses Erdbeben hat sein Epizentrum bestimmt irgendwo anders!« Er zeigte auf den sich verfinsternden Horizont, dorthin, wo die Luft flirrte.
Das ist wie bei einem Gewitter, Sybille!, versuchte ich mich zu beruhigen. Je länger der Donner braucht, desto weiter ist es entfernt. Das hier waren offensichtlich nur die Ausläufer der wahren Katastrophe.
Am Abend erfuhren wir von einem Besuch Khaista Khans, dass im fünfzig Kilometer entfernten Narin dreitausend Menschen ums Leben gekommen waren.
»Ich will nach Hause telefonieren!«, jammerte ich wie ET . Was hier passiert war, kam wahrscheinlich in Bergfeld in der Tagesschau.
Tja. Leider hatte ich die Leute von UNICEF gerade verjagt. Die hätten Satellitentelefon und Funk gehabt. Katachel e . V. Bergfeld hatte für einen solchen Luxus kein Geld. Wir gaben wirklich jeden Groschen für die Witwen und Waisen aus, die es nötig hatten.
»Ein guter Grund mehr, nochmal nach Kabul zu fahren!«
Tatsächlich hatte General Farid sich kein bisschen
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