Drachenkinder
versucht, sich zu erstechen. Was ihr in dieser »Ehe« angetan wurde, kann sich niemand vorstellen.)
Bei Gholams Hochzeit mit Diana durfte ich dabei sein. Neugierig sog ich alles in mich auf: Der ganze Hof war voller Frauen. Dicht gedrängt und in engem Körperkontakt saßen sie da. Jede versuchte, die anderen an Schmuck und teuren Kleidern zu übertreffen. Und wehe, eine hatte ein Kleid an, das die anderen schon kannten! Dann wurde gelästert, dass sich die Balken bogen …
Ich verstand das alles nicht: Da litten sie Hunger und Not, schliefen auf dem Fußboden und kannten keinerlei Komfort. Aber Klamotten und Prunk wie bei den Pharaonen.
Als Kandigol sich neben mich quetschte, weiteten sich meine Augen vor Entsetzen: Die Kette, die sie trug, war aus purem Gold und schien ihren gesamten Körper zu bedecken! Die hat sie doch wohl hoffentlich nicht aus unseren Spendengeldern gekauft?, dachte ich.
Ich selbst war wie immer praktisch gekleidet: Männerhemd, Pluderhose und bequeme Schuhe. Hier durfte man sich bloß nicht aufrüschen, denn dann konnte es gefährlich werden. Stattdessen: Hier bin ich Mann, hier lindere ich Not.
So. Da saßen wir also. Haut an Haut, Schwitzfleck an Schwitzfleck. Ein Hühnerstall war eine wohlriechende Wellnessoase dagegen. Aber wo blieb Diana, die Braut?
Stunden vergingen. Platten mit fettigem Essen wurden durchgereicht. Die Damen aßen mit den Fingern. Fett triefte auf die schönen Kleider. (Aber egal, für die nächste Hochzeit würden sie sich einfach ein neues kaufen!) Kinder und Babys krabbelten über den riesigen aus Frauen bestehenden Fleischberg hinweg. Gerüche nach Essen, Schweiß, Kinderkacke und billigem Parfum überlagerten sich. Eine Hitze zum Wahnsinnigwerden. Ich hielt es einfach nicht mehr aus hier. Über eine Leiter kletterte ich in den Nachbarhof. Dort saßen die Männer und warteten auf die Braut. Immerhin. Aber hier war die Luft besser. Sie saßen auch nicht so eng aufeinander wie Ölsardinen in der Dose. Hier war keiner zum Schmusen aufgelegt. Mit meiner praktischen Kleidung konnte ich es mir hier genauso gemütlich machen.
»Hallo Dadgul«, sagte ich leise.
»Hallo, Mama.«
»Wo bleibt die Braut?«
»Die Braut ist beim Friseur.«
»Warum konnte sie nicht früher gehen?«
»Das Warten auf die Braut gehört zu einer afghanischen Hochzeit wie das Warten aufs Christkind beim deutschen Weihnachtsfest.« Dadgul fächerte sich Luft zu.
»Ist aber langweilig«, maulte ich.
»Wart’s ab, du wirst begeistert sein.«
Aus dem Hof der Frauen schrillte Musik, Gesang, Tanzschritte. Die Männer hier lungerten bloß rum. Denn darin waren sie geübt. (Gäbe es die olympische Disziplin »Rumlungern«, hätten sie die Goldmedaille.) Ich sehnte mich nach einem heißen Bad, nach einem Bier und nach der Tagesschau. Aber das alles war unendlich weit entfernt und so unmöglich wie ein Flug zum Mars.
Endlich, nach etwa fünf Stunden, schrillte eine Alarmsirene. Irgendetwas tat sich. Sollte die Braut etwa endlich …? Draußen ertönte ein Hupkonzert. Hunde bellten, das ganze Dorf war in Aufruhr.
Es WAR die Braut! Der Wahnsinn! Schrilles Pfeifen, Fußgetrampel, Beifall wie bei einem Rockkonzert. Nur dass dieser Star hier unter einem goldgrünen Tuch hereingeführt wurde.
Ja, wie jetzt? Ich dachte, die war beim Friseur?!
Diana wurde zu Gholam, ihrem Bräutigam, geführt, der schon seit Stunden geduldig auf dem Sofa saß.
Na, immerhin. Endlich tat sich was. Trommelwirbel: Der Schleier wurde gehoben.
Riesenbeifall, eine Begeisterung, wie beim VfL Wolfsburg, wenn er deutscher Meister geworden ist.
Das deutsche Brautkleid sah entzückend aus.
Die Frisur: ja. Schön.
Das Make-up: Puh, also mein Fall war das nicht. Die arme Diana war extrem weiß geschminkt, mit rosaroten Bäckchen und »voll krassem Bitch-Augen-Make-up« (wie Vanessa sagen würde). Das jetzt natürlich verlief, weil die Braut weinte.
Na toll. Das hätte man preiswerter haben können.
»Warum heult die denn? Ich denke, die ist glücklich?«
»Mama, du hast eben keine Ahnung. Eine Braut MUSS weinen, sonst ist die ganze Hochzeit umsonst.«
»Aaah ja.«
Die Brautleute tauschten die Ringe. Die monströse, kitschige Hochzeitstorte wurde angeschnitten. Alle brachen in Indianergeheul aus und fielen sich weinend um den Hals. Oooookeeeeeh. Schön. Ich freute mich auch.
Arme Diana, jetzt musste sie den ganzen Abend still sitzen, damit die teure Haarpracht ja nicht in sich zusammenfiel, denn am nächsten Morgen ging
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