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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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denk dran, tu was für deinen Körper, damit du attraktiv bleibst!« Mit diesen Worten versuchte ich, ihr diese Idee auszureden. Kinder gab es in Afghanistan genug, und Haschem hatte mit dreizehn Kindern ausreichend Manneskraft bewiesen.
    Aber als ich ein Jahr später auf Besuch kam, hatte Habiba eine kleine Tochter namens Marsia geboren und ließ sich zusammen mit der Kleinen immer wieder voller Stolz von mir fotografieren. Doch sie klagte nach wie vor über Bauchweh.
    Weitere sechs Monate später war ich in Kunduz und wollte natürlich auch Habiba besuchen. Aber Habiba war nicht da. »Sie ist mit Hadji Haschem in Indien, er ist dort mit ihr ins Krankenhaus gefahren. Sie ist sehr krank, das Herz!«, erklärte mir Hafiz, der Sohn der Erstfrau. Anscheinend war es wirklich was Ernstes, denn so eine Fahrt war verdammt teuer.
    Drei Tage später kehrten die Reisenden nach Kunduz zurück. Ich erkannte Habiba kaum wieder, denn ihr Gesicht war eingefallen, und sie hatte einen ganz ungesunden grüngelben Teint. Ihr Bauch sah aus, als hätte sie einen Medizinball verschluckt, und Habiba war völlig kraftlos. » Madar Jan (»liebe Mama«), ich freue mich so, dass du da bist! Jetzt wird alles wieder gut«, flüsterte sie schwach und strahlte mich an.
    »Jetzt muss sie wieder zu Kräften kommen, die Operation am Herzen hat sie sehr geschwächt«, machte mir Haschem Mut. Mein Gott!, dachte ich. Was hat sie nur? Ihre Kleine quäkte auf dem Arm der großen Schwester Nawida, die im Moment nicht zur Schule ging, um mit ihrem dreizehnjährigen Zwillingsbruder die Geschwister zu versorgen. Vater Haschem war den ganzen Tag im Polizeibüro. Er musste schließlich Geld verdienen, denn seine große, inzwischen auf zwanzig Personen angewachsene Familie, hatte Ansprüche.
    Weder die Kinder, der Ehemann noch die Erstfrau versorgten Habiba, nein, es mussten extra Habibas Geschwister kommen und sich Tag und Nacht um die Schwerkranke kümmern. Habiba lag wimmernd auf einer Matte im Wohnzimmer. Sie konnte kaum noch Flüssigkeit zu sich nehmen und war ein echter Pflegefall. Habiba wurde immer schwächer.
    Nach drei Tagen wurde es mir zu viel und ich fuhr mit ihr im Krankenwagen ins Spinzar-Krankenhaus, in dem ein österreichischer Arzt Dienst tat. Nach einer kurzen Untersuchung sagte er mir die Wahrheit: Habiba hatte keine Herz- OP gehabt, sie hatte einen riesigen Tumor im Bauch, ausgehend von den Eierstöcken. Er gab ihr noch maximal fünf Tage zu leben.
    Mit einem Tropf und starken Schmerzmitteln fuhren wir wieder zurück zu Haschem, und ich überzeugte ihn, dass das nötig war, damit sie in Frieden gehen könne.
    Drei Tage später – ich war gerade dabei, Mehl zu verteilen –, rief Habibas Sohn an. »Mama ist tot.« Sofort fuhr ich zu ihrem Haus.
    Ich setzte mich ganz still in eine Zimmerecke und sah zu, was geschah.
    Die Tote lag in der Raummitte und war von einem roten Samttuch bedeckt. Um den Körper zu schützen, waren Holzbögen über sie gestellt worden, so als läge sie in einem Sarg. Unter dem Tuch verbargen sich auch Plastiktüten mit Eis, um die Leiche zu kühlen.
    Auf Habibas riesigem Bauch lagen ein Mauerziegel, ein kleiner Koran, ein Messer und ein Beutel Salz. Kommandant Hadji Haschem saß zu ihren Füßen, und Tränen liefen ihm über das Gesicht. Er blieb nur wenige Minuten, ging dann ins Männerhaus und überließ die weitere Prozedur den Geschwistern Habibas.
    Nach und nach füllte sich der Raum. Immer mehr Frauen kamen herein, setzten sich auf den Boden und begannen zu weinen oder zu beten.
    Vor dem Haus errichtete ein Unternehmen zwei riesige Zelte, Tücher wurden gespannt und eine Kochstelle eingerichtet. Immer wieder kamen Männer mit Gaben vorbei, teils mit Schafen, die ängstlich blökten. Es wurde eine Trauerfeier vorbereitet, die der Ehefrau eines Kommandanten würdig war.
    Im Raum, in dem die Tote lag, wurde es immer voller. Ich hatte Angst, dass sie Anstoß an mir nehmen könnten, schließlich war ich keine Muslimin, sondern Ausländerin.
    Als ich leise fragte: »Soll ich lieber gehen? Ich gehöre doch nicht mit zur Familie – hale ma merawom, man as famile shoma nestom «, geschah genau das Gegenteil: Die Frauen nahmen mich in den Arm, setzten sich ganz nah zu mir. Körperkontakt ist unter afghanischen Frauen bekanntlich sehr wichtig, und diesmal empfand auch ich ihn als wohltuend.
    »Du gehörst zu uns, du bist Habibas Freundin. Wie kannst du nur so etwas sagen?«
    Trotz meiner Trauer machte mich das auch ein

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