Drachenkinder
gesagt, am einfachsten ist es mit der Heiraterei, wenn man tauschen kann, Sohn und Tochter gegen Tochter und Sohn, dann kostet der Spaß nur das Festessen. Dann spielt es auch keine Rolle, dass der Sohn erst zwölf Jahre und die ins Auge gefasste Braut schon vierundzwanzig ist. Verheiratet ist verheiratet, Sex ist Sex, erledigt ist erledigt, und wenn der Junge noch so klein ist. »Mir tut die junge Frau so leid«, versuchte ich ein bisschen gesunden Menschenverstand einfließen zu lassen. »Davon verstehst du nichts, sei ruhig«, fuhr man mir nur über den Mund.
Ein anderes Mädchen aus Dadguls Clan, Kandigols Nichte Shamila, war gemeinsam mit ihrem Bruder Matin quasi »über Kreuz« in eine Familie verheiratet worden. Leider scheiterte Shamilas gar nicht mal so schlechte Ehe, denn ihr Bruder Matin war an ein Überraschungsei geraten: Seine »Frau« war ein Zwitter. (Über so etwas spricht man ja schon in Deutschland nicht gern, aber in Afghanistan geht das GAR nicht.) Also wurde nicht nur seine Ehe wieder geschieden, sondern auch die Shamilas, die nun als »gebraucht« und »schwer vermittelbar« galt. Ich versuchte, für die arme Shamila einen neuen netten Mann zu finden, aber Kandigol, Dadguls Frau, wollte Geld und Schmuck von mir, damit Matin sich auch eine neue Frau »kaufen« konnte. Diesen Handel sah ich nicht ein.
»Dadgul, sag mal, spinnt ihr eigentlich alle?«, ereiferte ich mich.
»Warum kann eine Frau nicht den Mann heiraten, den sie liebt? Und warum muss man eine Frau regelrecht kaufen?«
»Mama, du hast eben keine Ahnung!«, sagte Dadgul und lachte mich aus. »Pass mal auf: Vor Kurzem hat ein Freund von mir geheiratet und ist mitsamt der Braut und deren Aussteuer mit dem Boot über den Fluss nach Hause gereist. Die Aussteuer bestand aus teuren Teppichen, Geschirr, Hausrat, Decken und Schmuck. In der Mitte des Flusses drohte das Boot zu kentern, denn es war vollkommen überladen. Rate mal, was der Bräutigam zuerst ins Wasser geworfen hat.«
»Die Teppiche?«
»Nein, falsch.« Dadgul grinste genüsslich.
»Das Geschirr?«
»Nee. Die Braut.«
»Das ist ein Witz!«
»Das ist KEIN Witz! Die Braut konnte nicht schwimmen, aber das war ihm egal. Sie hatte nichts gekostet.«
»Ach, Dadgul, du bist blöd.«
»Bin ich nicht! Ich will dir nur erklären, wie das bei uns funktioniert. Wenn die Braut nicht teuer war, ist sie auch nichts wert. Dann wird ihr vom Bräutigam und dessen Familie auch keine Wertschätzung entgegengebracht. Insofern muss Kandigol sehr viel Geld für Shamila verlangen, besonders weil sie zweite Wahl ist. Sonst wird sie schlechter behandelt als eine Kuh.«
Ich begriff das alles nicht! Shamila war ein zauberhaftes, fleißiges Mädchen. Jeder afghanische Mann konnte sich glücklich schätzen, sie zur Frau zu bekommen.
So war es aber nicht.
Irgendwann gelang es mir, Shamila an einen netten jungen Mann zu verheiraten, und zwar ohne Geld: Die beiden mochten sich, ja, ich behaupte sogar, sie waren ineinander verknallt. Doch leider sollte Dadgul recht behalten: Schon nach kurzer Zeit behandelte er sie wie Dreck. Seine Familie ließ sie hart arbeiten und hungern, obwohl sie ihm jedes Jahr ein Kind gebar. Am Ende wog sie nur noch vierzig Kilo und hatte dunkle Ringe unter den Augen.
»Ich hab’s dir doch gesagt, Mama! Sie hat nichts gekostet!«
Dann war da noch die Geschichte von Diana. Durch meine Vermittlung heiratete sie Gholam, einen jungen Mann, der eines Tages auf Krücken zu mir auf den Schulhof gekommen war. Er war als Waisenjunge zum Waffenreinigen abkommandiert worden, und irgendwann ging so eine Waffe nach hinten los.
Der Junge wurde schwer verletzt und trug das Geschoss noch jahrelang im Bein herum, das sich natürlich entzündete. Er litt unvorstellbare Schmerzen. Gholam kam nach Österreich, wurde dort operiert und bekam eine Beinschiene als Stütze. Natürlich konnte die in Afghanistan nicht gewartet werden, sodass er bald als Bettler auf der Straße gelandet wäre, wenn ich ihm nicht Diana an die Seite gestellt hätte. Die war zwar nicht begeistert, einen Krüppel zu heiraten, aber ihr Schicksal war immer noch besser als das ihrer kleinen Schwester, die von ihren geldgierigen Eltern als Drittfrau an einen lüsternen Opa verheiratet worden war. Nach außen hin war es die perfekte Hochzeit: Ein teures Brautkleid aus Deutschland musste es sein, unendlich viel Prunk und Protz, damit die Eltern in Katachel gut dastanden.
(Zwei Jahre später hat Dianas kleine Schwester
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