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Drachenkinder

Drachenkinder

Titel: Drachenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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bisschen glücklich.
    Manche Frauen brachten Tücher mit, golddurchwirkte Stoffe, die sie über die Tote warfen.
    Manche hatten Koranbücher dabei, aus denen sie vorlasen. Andere rauften sich die Haare und trauerten laut um ihre Freundin, Verwandte und Mutter. Nawida saß am Kopfende und weinte lauthals um die geliebte Mutter.
    Nur ich hatte nichts mitgebracht. Alle warteten, was ich wohl machen würde, aber was konnte ich schon tun?
    Die ganze Nacht über erwies man Habiba die letzte Ehre. Irgendwann machten ein paar Frauen zu später Stunde Palau, und die meisten Frauen gingen in die Diele, um das Reisgericht zu essen. Essen ist in Afghanistan das Allerwichtigste, da will niemand fehlen.
    Also blieb ich allein mit Habiba im Raum zurück. Mir liefen die Tränen über die Wangen. Sie war so eine gute Freundin gewesen, und auch ich wollte noch etwas für sie tun. Weil mir nichts anderes einfiel, begann ich zu singen: »Abendstille überall, nur am Bach die Nachtigall …« Was anderes hatte ich nicht im Kopf. »Mach’s gut, Habiba, ruhe in Frieden!«, murmelte ich leise.
    Als es fast Mitternacht war, schlich ich mich unauffällig ins andere Haus. Draußen im Zelt befanden sich inzwischen Hunderte von Männern, die mit dem Witwer trauerten. Bei Habiba ließ er sich nicht mehr blicken.
    Am nächsten Morgen, bei Sonnenaufgang, wurden es immer mehr. Die gesamte Kunduz-Prominenz rückte an: Polizeibeamte, Minister, auch die Special Forces : Beerdigungen sind in Afghanistan ein Stadtereignis.
    Die Tote lag inzwischen auf einer Trage und war gewaschen und in ein großes weißes Laken gewickelt worden. Ein Tuch bedeckte ihr friedliches Anlitz. Manche Trauernde kamen, hoben das Tuch und küssten das kalte Gesicht Habibas. Viele, viele Tücher wurden über die Bögen geworfen, um Habiba die letzte Ehre zu erweisen. Klagen erfüllten den Raum.
    Um zehn Uhr kamen dann Männer in den Raum und trugen die Tote hinaus aus dem Hof. Jetzt mussten die Frauen Abschied nehmen. Von nun an wurde Habiba auf ihrem letzten Weg nur noch von Männern begleitet. Sie trugen sie zu den Männerzelten, wo bereits ein Krankenwagen bereitstand. Vorsichtig schoben die Männer die Trage hinein und schlossen leise die Türen. Dann setzte er sich in Bewegung, der Leichenzug. Alle Männer gingen hinter dem Krankenwagen her – nur einer nicht, der Ehemann, aus Sicherheitsgründen. Sämtliche Straßen waren gesperrt, niemand kam mehr durch, es galt höchste Sicherheitsstufe, denn bei so vielen Menschen war ein Bombenanschlag sehr wahrscheinlich.
    Der Trauerzug ging hinüber zum Friedhof, dem Kabristan . Eine etwa zwei Meter tiefe Grube war bereits ausgehoben worden. In ihre Seitenwand hatte man eine Höhlung geschlagen, in die nun die Leiche im langen weißen Tuch gebettet wurde. Der Mullah betete, und die Totengräber schlossen die Höhlung in der Seitenwand mit Brettern, damit keine Erde die Leiche beschmutzte. Es wurde gebetet und getrauert, dann ging der Männerzug wieder in Richtung Zelte, und die Totengräber füllten die Grube mit Lehm. Keine Blumen, alles ganz schlicht.
    In den Zelten waren mittlerweile noch mehr Männer anwesend. Man betete, es gab viel Palau und viel Fleisch, das Blöken der Schafe war verstummt. Drei Tage dauerte die Trauerfeier
    Ich hatte keinen Hunger mehr, am wenigstens auf Fleisch. Arme Habiba, ich vermisse dich!, dachte ich. Arme kleine Marsia, jetzt wächst du ohne Habiba auf – Nawida, die Dreizehnjährige wird dir die Mutter sein.

30
    Rahima fiel mir zum ersten Mal auf, als sie auf dem Schulhof zum Brunnen kroch statt wie die anderen Kinder zu rennen. Zuerst dachte ich, das wäre ein Spiel. Aber dann merkte ich, dass sie nicht rennen KONNTE . Sie kroch, weil ihr Bein verkrüppelt war. Das Mädchen war elf Jahre alt. Sofort packte mich wieder heftiges Mitleid. Am nächsten Tag wollte ich heimfliegen, also musste ich schnell handeln. Ich lud das Mädchen ins Auto, fuhr über die mit Schlaglöchern übersäte Piste nach Kunduz und ließ sie dort von einem befreundeten Arzt untersuchen.
    »Sie muss dringend in Deutschland operiert werden!«, sagte er fest entschlossen.
    »Aber ich fliege schon morgen!«
    »Dann nimm sie beim nächsten Mal mit!«
    Am liebsten hätte ich sie natürlich sofort mitgenommen, aber es war nicht so einfach, in Deutschland ein Einreisevisum für sie zu bekommen. Zuerst musste ich in Deutschland Verpflichtungserklärungen unterschreiben, zum Beispiel von den Pflegeeltern, bei denen ich sie

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