Drachenklänge
ersten
Planetenumlauf nach dem Vorbeizug bestellte man
den Meisterharfner in den Fort Weyr.«
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Das war alles. Eine unergiebige, geheimnisvolle Notiz. Bei ähnlichen Anlässen, wenn man den Meisterharfner in den Weyr gebeten hatte, wurde der Grund für den Besuch ausführlich erklärt.
Der nächste Vermerk stammte vom damaligen Meisterharfner Creline und war mehr als zwei Monate spä-
ter datiert. Etwas höchst Merkwürdiges hatte sich zugetragen. Die Zehnt-Karawane mit den Vorräten brach pünktlich von Burg Fort auf, doch als sie beim Weyr anlangte, war dieser leer und verlassen, nur auf dem Abfallhaufen fand sich jede Menge zerbrochenes Geschirr.
Andere Burgherren erzählten, dass die Flaggen, die man hisste, wenn man die Unterstützung der Drachen anforderte, unbeachtet blieben; doch während man sich einerseits über die Nachlässigkeit ärgerte, waren die Menschen nach einer fünfzig Planetenumdrehungen dauernden Phase des Fädenfalls viel zu erleichtert ob des Endes dieser Plage, dass sie sich über die feh-lenden Drachen am Himmel keine Gedanken machten. Ihnen genügte es, dass sie nicht länger die Fäden bekämpfen mussten.
Ein Konklave war einberufen worden, als endgültig feststand, dass fünf der sechs Weyr unbewohnt waren.
Auch die beiden Weyrführer von Benden standen vor einem Rätsel, und sie vermochten sich das Verschwinden der Drachen mitsamt ihrer Reiter und Reiterinnen nicht zu erklären. Nunmehr war Benden der einzige noch verbliebene Weyr.
Es entwickelten sich viele Theorien. Die vielleicht plausibelste besagte, eine geheimnisvolle Krankheit habe die Weyr befallen und Drachen sowie deren
menschliche Gefährten dahingerafft. Doch diese Aus-legung berücksichtigte nicht die abwesenden Weyrleute und das Fehlen sämtlicher Habe und Gebrauchs-güter.
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Der Benden Weyr schickte sogar ein ganzes Geschwader los, um den Südkontinent abzusuchen, für den Fall, dass sich alle fünf Weyr – aus unerfindlichen Gründen – dazu entschlossen hätten, sich trotz der Fährnisse und Risiken auf der südlichen Halbkugel niederzulassen.
Noch viele Planetenumläufe später diskutierte man heftig über dieses Thema, ohne hinterher klüger zu sein.
Dann schuf Creline ein neues Werk, das er »Das
Lied der Fragen« nannte, und das der Sammlung
der Lehrballaden einverleibt werden sollte, die quasi als Pflichtfach auf Pern unterrichtet wurden. Gennell nahm sich vor, das Lied neuerlich in diese Kategorie einzustufen, da zwischenzeitlich jemand – er wollte keinen Namen nennen – die lehrreiche Weise aus dem Unterrichtsplan gestrichen hatte. Es war passiert, ehe er zum Meisterharfner ernannt wurde. Derlei Dinge kamen immer wieder mal vor, doch in diesem Fall
galt es, den Vorgang rückgängig zu machen. Ihm ging nicht aus dem Kopf, wie wichtig Creline diese Ballade damals fand. Ein eigentümliches Lied mit einer Melodie, die unter die Haut ging. Es lohnte sich, es wieder auszugraben und allen zugänglich zu machen.
Ein neuer Fädeneinfall wurde erst in ungefähr fünf-undfünfzig Planetenumläufen erwartet. Falls es überhaupt noch einmal Fäden vom Himmel regnen würde, korrigierte sich Gennell in Gedanken. Viele Leute glaubten, diese Pest sei ein für allemal überstanden.
Einer beliebten Hypothese zufolge hatten sich die Weyr auf einen bizarren Selbstmordpakt eingeschwo-ren und sich selbst vernichtet, bis auf Benden, der die Tradition der Drachenreiter fortführen sollte.
Für jeden, der auch nur einen Funken Verstand be-saß, ergab diese Theorie keinen Sinn. Doch zumindest mit diesem Problem brauchte er sich während seiner 21
Zeit als Meisterharfner nicht zu befassen. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und konzentrierte sich auf das Einschlafen.
*
Kurz nach der Sonnenwende verschlimmerte sich Merelans Husten zu einer Bronchitis. Zu Beginn eines jeden neuen Planetenumlaufs grassierten aufgrund der unfreundlichen Witterung immer Erkältungskrankhei-ten, und auch der kleine Robinton und Petiron litten unter Schnupfen und einem rauen Hals, doch sie hatten die Unpässlichkeit bald überwunden. Merelans Husten hingegen schien chronisch zu werden, und
sie stand keine Gesangsübung durch, ohne von Hus-tenkrämpfen geschüttelt zu werden. Zum ersten Mal machte sich Petiron ernsthafte Sorgen um ihre Gesundheit.
Auch Betrice und Ginia waren beunruhigt, denn die Sängerin hatte stark an Gewicht verloren.
»Es stehen doch hoffentlich keine anstrengenden
Proben bevor, oder?« fragte Ginia
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