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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Menschheit in Gefahr ist…” “Ich sag's schon: Du bist ein Idiot!” Nun ist Hendrikje doch beleidigt. Schließlich kennt man das: Sie reden sich immer mit Höherem, Edlerem, Vernünftigerem heraus. Anscheinend haben die Männer allen Edelmut und alles Heldentum der Welt gepachtet – wie er das sagte: private Vergnügungen! “Und die Liebe zum Menschen zwingt dich, als erbärmlicher Spitzel durch die Welt zu laufen, ja?” zischt sie wütend. “Immer mit der Nase im Dreck, immer geduckt unter den Blicken der ehrlichen Menschen, immer eine Lüge auf den Lippen, ja, Hermel Goff? Die Liebe zum Menschen?”
    Goff stößt sie wie erschrocken von sich. “Wie kannst du so reden”, sagt er fassungslos. “Ich hatte dir doch alles schon einmal erklärt! Aber so war es schon immer. Die Lunte brennt und qualmt, daß der Gestankin die Nase beißt, doch die Menschen kriegen ihre fetten Ärsche nicht runter vom Pulverfaß, weil nur der Knall sie überzeugen kann, mit dem alles auseinanderfliegt! Und du bist genauso, Hendrikje Greiff! Du verübelst mir das schlechte Gewissen, das jede vertrödelte Minute mir bereitet, verübelst mir, daß ich mich schäme, an Liebe zu denken, wo längst der Tod seine Kralle nach der Liebe ausgestreckt hat.” Seine Stimme überschlägt sich, er spricht immer schneller, hektischer. Dann drehte er sich plötzlich ruckartig um und läuft mit eckigen Bewegungen davon.
    Hendrikje vermag keinen klaren Gedanken zu fassen. Mit zitternden Fingern kramt sie das kleine Etui aus der Brusttasche ihres Schmeichelmoosoveralls und fischt sich eine Qualle aus der Nährgelatine. Dann heult sie still in sich hinein, genießt die wenigen Sekunden hemmungsloser Trauer über eine verlorene Hoffnung. Igel müssen die Stacheln anlegen, um sich lieben zu können, denkt sie, schön hat Goff das gesagt damals, wirklich, sehr schön…
    Wieder bin ich zu ungeduldig gewesen, sagt sie sich, aber ist Ungeduld nicht auch das, was Goff treibt? Alles geht ihm zu langsam, er will die Menschen mit einem Zaubertrick ändern, auf einen Schlag. Eigentlich müßten die armen Mungos, die er so erbarmungslos jagt, doch seine Freunde sein, denn zweifellos würde sich eine Gesellschaft aus Mungos doch bedeutend schneller entwickeln – oder nicht? Hendrikje ist sichirgendwie bewußt, daß ein Fehler in ihren letzten Überlegungen stecken muß, genauso bewußt ist sie sich aber auch, daß es so, wie Goff es will, nicht gehen kann. Immerhin, soviel hat sie damals verstanden: Der Mann jagt mit fanatischem Eifer einem Traum hinterher, der seit Menschengedenken geträumt wird, dem Traum von der Vollkommenheit, der Göttlichkeit des Menschen. Er und seine Freunde vom MOBS wollen das durch genetische Manipulationen realisieren, auch das hat sie damals schon mitbekommen. Aber als er ihr das erzählte, war es für sie nicht mehr als eine harmlose und trotzdem fesselnde Spinnerei. Wie weit die Vorbereitungen der Moralischen oder Psychischen Optimierung bereits gediehen sein müssen, wurde ihr erst allmählich bewußt, in den Tagen des Fluges zum Merkur, als sie Zeit zum Nachdenken hatte.
    Es ist beileibe nicht so, daß Hendrikje es liebt, sich mit solch komplizierten Dingen abzugeben, nein. Vielmehr kreisten ihre aufgestörten Gedanken unentwegt um Hermel Goff, diese Chimäre aus hehren Idealen und Gewissenlosigkeit, und da blieb es nicht aus, daß sie immer wieder auf seine Vision von der letzten, endgültigen Veränderung der menschlichen Gesellschaft stieß, auf den Traum von der Göttlichkeit, der Hermel Goff mit aller Macht beherrschte.
    Und natürlich hat sie sich immer wieder gefragt, warum man diesen Traum heimlich träumen muß, warum es für Leute wie Hermel Goff noch immer nicht möglich ist, durch Arbeit glücklich zu werden, durch Schöpfertum. Und plötzlich kamen ihr dann Zweifel an Goffs Ziel, und entsetzt stellte sie fest, daß es gar nicht erreichbar ist, ohne die Menschen zu betrügen.
    Man kann den Menschen doch nur verstehen, wenn man seine biologischen Wurzeln betrachtet. Man darf ihn nicht von diesen trennen, denn er ist ein Produkt seiner biologischen und gesellschaftlichen Genesis. Goff will das alles vernichten, meint, die Scham vor der Geschichte müsse größer sein als die Achtung derer, die die ersten Schritte auf zwei Beinen taten. Er will einfach neu beginnen. Aber womit?
    Man hat eben nicht erlebt, was war, und man kann nicht erleben, was sein wird – davon kann man nur träumen. Und das Träumen verführt

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