Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
redet, zieht er die Konturen seiner Lippen mit einem dünnen Tubenstift nach und rückt seinen Stirnreif zurecht. Dann steht er auf und holt aus dem elfenbeinfarbenen Schwebeschränkchen neben der Tür zwei hauchzarte Kelche. Hendrikje hat er einmal gesagt, sie seien sehr kostbar, die Blüten irgendeines außerirdischen Krautes, die härter als Glas werden, wenn man sie in irgendeine Lösung taucht.
Als sie das Gluckern hört, unterbricht sie sich. “Rede nur weiter. Ich höre zu”, versichert Ergar eilig, dann reicht er ihr einen der mit elloranischem Ananis gefüllten Kelche und trinkt seinen in einem einzigen Zug aus.
Hendrikje kennt das. Wenn er den Ananis einfüllt, überlegt er schon, was er ihr antworten wird, wie er wieder mit seinem Wissen und seinen vertraulichen Informationen glänzen kann. Also schweigt sie trotzig.
Ergar wartet noch einen Augenblick, dann schließt er halb die Augen und beginnt leise zu sprechen. “Sie haben eine interessante Entdeckung gemacht. Mungoismus tritt nur bei Leuten auf, die vor den ersten Sonnenoszillationen – damals, vor fünfunddreißig Jahren – geboren wurden. In den nächsten Wochen erwarten wir erneut diese unerklärbaren Schwingungen, und wenn in den darauffolgenden Jahren der nächste Mungoismusschub einsetzt, dürfte der Zusammenhang als erwiesen gelten.” Er hat die Hände aneinandergelegt, derart, daß nur die Fingerkuppen einander berühren.
Ihn interessiert überhaupt nicht, daß ich dabeigestanden habe, denkt Hendrikje wütend, es läßt ihn völlig kalt, daß ich mit ansehen mußte, wie das Blut des armen Stotzner auf die Straße spritzte, er will gar nicht wissen, was ich fühle und denke.
“Man wird der Sache endlich auf die Spur kommen”, redet Ergar weiter, “denn es steht fest, daß das Phänomen des Mungoismus in zwischen ein gesellschaftliches geworden ist.”
“Ein gesellschaftliches Phänomen?” Auf einmal ist Hendrikje hellwach, denn sie weiß, daß sich Ergar solche Dinge nicht einfach ausdenkt. Seine Arbeit im Rat für gesellschaftliche Koordination erlaubt ihm Zugang zu Informationen, die nicht jedem auf die Nase gebunden werden.
“Dann sind es also keine Einzelfälle?” vergewissert sie sich gespannt und bemerkt, wie Ergar unwirsch den frischgeschminkten Mund verzieht.
“Natürlich nicht”, antwortet er einsilbig, wohl im Bewußtsein, zuviel ausgeplaudert zu haben. Dann fährt er ärgerlich auf: “Beim Großen Sirius! Was meint ihr denn, wozu der MOBS gegründet wurde? Doch nicht, um irgendwelche Leute mit schlechten Zähnen ausfindig zu machen oder um die genetische Evolution zu kontrollieren. Dieser Mungoismus ist eine regelrechte Seuche, und die daran Erkrankten sind sture, bockige Idioten, die nicht einsehen wollen, daß wir nur ihr Wohlbefinden im Sinn haben!”
“Also melden sich doch nicht so viele freiwillig?” fragt Hendrikje lauernd.
Ergar springt auf. “Ha! Freiwillig!” stößt er wütend hervor, und Hendrikje weiß nicht recht, ob sie sich freuen oder fürchten soll, daß ihr Lustpartner das erstemal seit ihrer Registrierung die Kontrolle über sich verliert. “Die denken gar nicht daran und stellen sogar noch Forderungen! Richtige Banden gibt es da schon, die uns mit Anträgen und Eingaben bombardieren.” Er läuft nervös auf und ab.
“Faseln was von Menschenrechten und Freiheiten, als ob wir nicht am besten wüßten, was das ist. Alles soll sich nur um sie drehen, für sie dasein. Wenn es nach denen ginge, dann müßten wir wieder die Unterteilung der Menschen in verschiedene Klassen oder Schichten einführen, denn sie sind ja was Besseres als alle anderen!” Ergar schnappt zornig nach Luft und fuchtelt mit den Händen durch die Luft, als wolle er einen unsichtbaren Gegner ohrfeigen. “Die besseren Sportarbeiter, die besseren Piloten, die besseren Operateure – ach, die Liste ist ellenlang. Überall, wo es auf Schnelligkeit des Denkens und Handelns ankommt, sind sie Gesunden überlegen. Und daraus schließen sie, daß wir die eigentlich Kranken sind und ihre Art zu leben eine neue, höhere Qualität der menschlichen Existenz ist. Wenn ich den Lumpen erwische, der sich diese Ideologie zusammengebastelt hat, den werde ich…”
“Vielleicht stimmt es.” Wieder hat Hendrikje ihn unterbrochen. Als sie Ergars verdutztes Gesicht sieht, kommt ihr ein teuflischer Einfall. “Vielleicht sind diejenigen, die diese neue Art zu leben unterdrücken wollen, in Wahrheit die Rückständigen, die
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