Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
Die Furcht packt ihn mit einer Macht, der er nichts mehr entgegenzusetzen hat. “Sie finden uns, hörst du, Styx?”
Aber Styx antwortet immer noch nicht. Da spürt Bruno einen heißen Stich in der Brust. Seine Arme werden zu Stein, und es gelingt ihm nicht mehr, den Steuerbügel herumzureißen. Die Kanzel seines Wantentrailers taucht in das Leuchten einer Bogenprotuberanz. Null Komma zwei Tesla
– zweitausend Gauß magnetische Feldstärke! Raus hier, raus! Aber was ihn da lähmt, ist nicht ein gewöhnlicher Schmerz – es ist ein Krampf, der seinen Brustkorb zu zerfetzen scheint, der ihm den Kehlkopf zerquetscht, das Gehirn zerstampft. Das Röcheln erstickt unter einer Gewalt, zu der nur ein solch mächtiges Ding wie die Sonne fähig ist. Als es in der Kanzel allmählich dunkler wird, flackert noch einmal Hoffnung in Brunos erlöschendem Bewußtsein auf. Doch kommt die Dunkelheit nicht davon, daß der Wantentrailer aus der tödlichen Flußröhre hinaustreibt – Bruno erkennt es mit dem letzten Fünkchen Leben in seinem erstarrten Körper. Es ist der Tod, der sein Tuch über ihn deckt, alles ausstreicht aus Brunos Wahrnehmungsvermögen – auch die Stimme, die nun anstelle des Heulens der Ortungsgeräte durch die Kabine des Schleppers tönt. “Ich habe euch auf dem Schirm, Bruno! He, Dicker, wie fühlt man sich denn so als Held? Nun komm schon, ring dir mal ein Exklusivinterview für mich ab! Hallo, Bruno, hat es dir die Sprache verschlagen? Nun komm schon, wisch dir
die Tränen aus den Augenwinkeln, wir lassen einen Kameraden doch nicht im Stich! Bruno, Styx, meldet euch…”
KAPITEL 5
“Meine liebe Henni, irgendein selbstzerstörerischer Trieb treibt mich der Lächerlichkeit in die Arme – eigentlich müßte ich mich Dir doch souverän, abgeklärt, weltmännisch und vor allem so richtig erwachsen präsentieren, aber so bin ich nicht, was soll's also. Auf die Dauer würde das auch zu sehr anstrengen. Ich habe heute einfach frei genommen und bin den ganzen Tag in Amorix herumgestrolcht. Ein paarmal war ich drauf und dran, einfach zu Dir zu kommen – wenn ich doch nur nicht so verdammt vernünftig wäre. Aber es war weniger Vernunft als die Angst, mir die fast unsichtbare mikroskopisch kleine Chance zu zerstören, die ichmir ausrechne. Dieser Schnösel – wie heißt er gleich: Ärger, nicht wahr?
– hätte ja dasein können, und die Situation wäre so peinlich, daß Du mich möglicherweise zur Hölle gewünscht hättest. Werd endlich wieder gesund, Henni, es reicht mir ja schon, Dich nur in meiner Nähe zu wissen…”
Hendrikje läßt den Brief sinken und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Dann schnieft sie melancholisch und liest weiter.
“… Liebe kann man nicht erbitten, erkämpfen, erkaufen oder erzwingen, das weiß ich ja. Erzwingen liegt mir ohnehin nicht, bitten eigentlich auch nicht so sehr. Zum Kämpfen fehlte mir wohl die Substanz. Aber bitten, flehen, betteln würde ich, meinen ganzen Stolz vergessen, wenn es Zweck hätte.
Ist es nicht traurig: Fast alles kann ein Mensch aus eigener Kraft erreichen, nur das eine, das Wichtigste, nicht: geliebt zu werden…”
Hastig schiebt Hendrikje eine Qualle zwischen die Zähne. Aber du hast es geschafft, du Affe! denkt sie beschwingt. Mit deinen albernen und pathetischen Schwüren hast du mich rumgekriegt!
“… Silvester geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Was mußtest Du mir auch erzählen, daß Du und der Schnösel vielleicht…, na ja, laßt Euch registrieren, werdet glücklich, zum Teufel! Ich suche mir irgend so eine Kleine, die nicht mehr will als das. Irgendwie muß ich den Tag ja überstehen, macht schon 'ne Menge aus, wenn man neben sich im Bett jemanden selig schnarchen hört. Henni! Ich liebe Dich so sehr, daß ich das Alphabet verfluche, weil seine Buchstaben nicht ausreichen, Dir auch nur eine Ahnung von dem zu vermitteln, was in mir vorgeht. Dieses Gefühl reißt den Körper in tausend Stücke, weil der viel zu klein für so eine große Sache ist…”
Hendrikje legt das vergilbte Papier zur Seite und heult ein wenig. Damals hat sie ihn spöttisch gefragt, aus welchem Selbstspiel er diese blumigen Wendungen habe, und er hat, hochrot im Gesicht, nur mit den Zähnen geknirscht. Der zweite Brief war aber noch schlimmer. Sie wühlt ihn aus dem Stapel hervor und faltet ihn auseinander.
“… ich bin verrückt, jetzt weiß ich's ganz genau! Was mute ich Dir da zu! Du bist bestimmt sehr, sehr krank – und ich quäle Dich
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