Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
hervor. “Heute kommt doch die neue Inszenierung von ›Aller Staub der Sterne‹, die darf ich nicht verpassen…”
Es ist wie ein kalter Wasserguß für Hendrikje. “Ergar…, wollen wir nicht wieder mal tanzen gehen?” fragt sie leise. Aber ihr Lustpartner hat sich bereits die Haube übergestülpt und die Augen verzückt verdreht. Jeden Abend das gleiche. Hendrikje hat nicht übel Lust, mit den Zähnen zu knirschen. Erst hält er Vorträge, dann verschwindet er in irgendeinem Selbstspiel.
Überhaupt hat sein Interesse an Lustspielen mit ihr spürbar abgenommen. Erst kam er ihr mit tausend Ausflüchten, simulierte Unwohlsein und trank zuviel Ananis, dann hat er wohl irgendwann gemerkt, daß die Flucht unter die Adapterhaube der sicherste Weg ist, ihren gewiß nicht übertriebenen Wünschen zu entgehen. Einmal hat sie auf das Ende des Selbstspielprogramms gewartet, bis in die frühen Morgenstunden – sein Entsetzen, sie hellwach neben sich zu erblicken, war wie ein Schlag ins Gesicht. Und dann fand sie auch die sorgsam versteckten Kassetten mit illegal produzierten und vertriebenen Selbstspielen… Vorhin, als seine feuchte Hand gedankenverloren über ihre Brust streichelte, da hat sie sich richtig gewundert. Aber es war wohl ein Versehen.
Vielleicht rührt seine Eifersucht aus einem gewissen Schuldbewußtsein her? hat sie sich schon häufig gefragt. Möglicherweise wehrt er ihre Zärtlichkeiten deshalb so schroff ab, weil er fürchtet, Hoffnungen zu wecken, die er nicht erfüllen kann oder will, und sicherlich hält er sich selbst aus diesem Grunde so sehr zurück. Aber warum bleibt er dann bei ihr, wenn ihm nicht einmal eine Handvoll Quallen hilft, Spaß mit ihr zu haben? Sein dummes Gerede ist doch keine Antwort. Es seien die Kleinigkeiten, die Gefühle füreinander abtöten, ihre schon ans Krankhafte grenzende Unordnung, ihre abfälligen Bemerkungen zu seinen beruflichen Erfolgen, ihr Egoismus… Sie hat sich doch bemüht! Und was war – nichts hat sich geändert.
Hendrikje genehmigt sich noch eine Qualle und gibt Robert den Befehl aufzuräumen. Der halborganische Gnom hat die ganze Zeit reglos in einer Ecke gestanden und nur dann und wann mit dem Bereitschaftslämpchen geblinzelt. Jetzt watschelt er gehorsam durch das Zimmer, schnüffelt mit seinem Saugrohr in den Nischen herum, läßt ein Stück Verpackungsfolie in seinem Container verschwinden, und als Hendrikje aufsteht, um an die Panoramafläche zu treten, hört sie es hinter sich rascheln und knistern. Erst mißt sie dem keinerlei Bedeutung bei, aber plötzlich fährt sie herum. “Robert! Du verdammtes Stück Schrott, was machst du da!”
Aber es ist bereits zu spät: Gerade verschwindet der letzte Brief in der Klappe des Abfallcontainers. Robert erstarrt und blinzelt hilflos mit der Bereitschaftsanzeige. Mit einer beinahe menschlichen Geste hebt er schwach seine Manipulatoren und läßt sie wieder fallen – Hendrikje hat schon vorher festgestellt, daß er gern Gesten und Verhaltensweisen seiner Besitzer kopiert, und muß wider Willen herzlich lachen.
Sie lächelt sogar noch, als sie sich in der Hygienezelle den Dreck von Händen und Armen spült. Zwei Briefe hat sie retten können, sie sind zwar zerknittert und an den Rändern angesengt, aber die anderen hat Robert zu allerfeinster Asche verarbeitet. Und eigentlich hat sich ihr auffälliger Mangel an Ordnungsliebe das erstemal als Vorteil erwiesen – wäre Roberts Container nicht randvoll gewesen, wäre ihr eine teure Erinnerung verlorengegangen…
Wie sie das so denkt, ihre Gedanken wieder tapsig in die Vergangenheit stolpern, spürt sie auf einmal die bedrückende Enge ihres Luxusappartements. Ihr ist, als rückten die Wände aneinander, als verdunkle sich die Panoramascheibe – und das stimmt sogar, denn die Sonne ist endgültig hinter dem zackigen Horizont verschwunden.
Ich muß raus hier, sagt sie sich mit einem Blick auf Ergar, der in seiner Plusterfarnkugel zuckt und stöhnt. Raus hier, irgendwohin!
Mit einem knappen Befehl verwandelt sie die Panoramafläche in einen riesigen Spiegel und betrachtet sich kritisch. Das ist sie nun: skandinavisch acht, gerademal eins sechzig und knapp ein Zentner, meerblaue Augen, und das einzige, was wirklich bemerkenswert ist – dieser grünliche Schimmer auf den stark geschwungenen Brauen, ohne jede Kosmetik, reine Natur. Der Schmeichelmoosoverall steht ihr gut, obwohl es einfache Konfektionsware ist, aber sie kennt ein paar Tricks, mit deren
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