Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
mit meiner Zudringlichkeit. Halte es meinem desolaten Zustand zugute – der ist meine einzige Rechtfertigung: Ich weiß nicht mehr, was ich tue. Irgendwie erlöst und befreit es, wenn man den Dingen dann ganz einfach ihren Lauf und sich selbst mit ihnen treiben läßt, wenn man spürt, wie sich die in diesem Zustand völlig überflüssige Vernunft in bedingungsloser Willensschwäche auflöst…”
Wirklich, er war verrückt, sinniert Hendrikje. Und das war es wohl, was mich umgehauen hat: diesen starken, durch nichts zu erschütternden Kerl am Boden zu sehen.
“… heute früh habe ich zu allen Göttern, die mir einfielen – und das war schon eine Menge! –, inbrünstig gebetet, Du mögest doch wieder gesund sein, aber die hohen Herren da oben müssen heute alle verschlafen haben, nicht einer hat sich meiner erbarmt. Das nächste Mal werde ich mich an den Chef im Keller wenden, der soll für so etwas ein Ohr haben, ihm muß diese zerstörerische Gewalt meiner Liebe doch imponieren, die mich verbrennt, vergiftet, in Atome zerfetzt. Aber was hilft das alles, wenn Du sie nicht erwiderst, dann ist dieser Hurrikan doch nur ein Stürm im Wasserglas: nutzlos, sinnlos, lächerlich…”
Und das hat ein erwachsener Mann geschrieben, denkt Hendrikje mit leichter Wehmut.
“… dabei treibt es mich derart auseinander, daß ich wohl mit den Fingerspitzen die Sonne berühren könnte, wenn ich mich auf die Zehen stellen würde…” Das hat er aber schön gesagt, mein Ireas, denkt Hendrikje und läßt sich aufseufzend in den Plusterfarnsessel zurücksinken, Flakke war der erste und letzte, der ihr solche Briefe geschrieben hat. Und damals war er nicht etwa ein gerade flügge gewordener Nestling, sondern schon knapp über vierzig und bereits Kosmander des Drachenkreuzers Ikaros.
Fast hätte sie diesen Stapel seiner Liebesschwüre vergessen, und damals hatte nur Ergar verhindert, daß sie ihn wutentbrannt in den Recyclingschacht warf, denn Flakkes so eifrig beschworene Gefühle waren von kurzer Dauer, und das konnte nicht nur daran liegen, daß er in seiner Wohnung zweimal auf ausgespuckten Quallen ausgerutscht war, weil sein träger Roboter immer einige Sekunden brauchte, bis sein Saugrohr die Genußmittelreste gefunden hatte.
Ergar hatte ihr prophezeit, sie würde sich eines Tages noch köstlich über diese Episteln amüsieren, und weiter kein Wort über ihren Fehltritt verloren. Anfangs rechnete sie ihm das hoch an, aber später wünschte sie sich oft genug, er würde wenigstens nur einmal so maßlos eifersüchtig sein wie Flakke, nur einmal solche kitschigen Dinge sagen wie das mit den Fingerspitzen und der Sonne.
Als sie das leise Schmatzen der sich öffnenden Tür hört, schiebt sie die Briefe schnell hinter ihren Rücken. Natürlich weiß Ergar von der Existenz dieses sorgsam verschnürten Päckchens, aber gerade heute fürchtet sie seine zynischen Kommentare, möchte nicht, daß er den Mann, der sie einst so jungenhaft geliebt hat, verspottet. Außerdem ist Ergar in letzter Zeit doch etwas mißtrauisch, beinahe eifersüchtig geworden. Aber nicht auf jene Art, die sich jede Frau wünscht, sondern auf eine drohende, erpresserische. Der geringste Verdacht genügt ihm, Vergeltungsdrohungen auszustoßen, zu betonen, wie attraktiv ihn seine Kolleginnen finden und daß es ihm mit dieser oder jener schon gefallen könne.
“Derdegiderje, Schatz. Wie war's?” fragt Ergar flüchtig, auf diese Weise, die eigentlich keine Antwort erfordert. Er schaut nur kurz zu ihr herüber und tritt dann vor die große Panoramafront des Raumes.
Sie haben ein Appartement in der Randzone des Urbanidums und brauchen keine Videotronik, um nach draußen schauen zu können.
“Na ja, eben so”, sagt Hendrikje und mustert ihren Lustpartner. Es stimmt schon, viele Frauen beneiden sie um Ergar. Er sieht nicht nur blendend aus, dieser schlanke, sehnig und sportlich wirkende Schwarzschopf, mit den dicken lockigen Haarsträhnen und der schmalen, leicht gebogenen Adlernase im mattbraunen Gesicht. Obgleich Hendrikje den Phänotyp maurisch eins nicht so sehr mag, erliegt sie immer wieder diesem Hauch von unbändiger Wildheit und rassiger Glut. Aber nicht nur das bestimmt Ergars Wirkung auf andere Menschen, vielmehr ist es wohlder Gegensatz zwischen seinem Äußeren und seinem Verhalten. So wie er dasteht, nachdenklich in die sinkende Sonne starrend – eine seiner Lieblingsposen –, hat seine Haltung etwas von der Würde längst verblichener
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