Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
mustert sie von Kopf bis Fuß.
“Ich möchte jetzt tanzen!”
Er spitzt die Lippen, und seine Augen schillern eigenartig. “Ich glaube, zwischen Mann und Frau gibt es doch einige Unterschiede”, sagt er betont nachdenklich, “wir Männer haben wohl etwas mehr Sinn für die großen Dinge, während ihr Frauen euch den Kleinigkeiten des Lebens verschrieben habt.”
Wie ein Faustschlag trifft es Hendrikje – das hätte Ergar sein können! Wie er dasitzt! Arrogant und hochmütig, eitel und rechthaberisch, dieser Affe! Wieso bin ich nur hierhergekommen?
Abrupt dreht sie sich um und geht steifbeinig zum Tubifex. Irgend etwas in ihr scheint zu versteinern, sie mit seinem Gewicht zu Boden ziehen zu wollen. Alle Männer sind Affen, und der hier ein lächerlicher Pavian! Ob sie Goff, Ergar, Aberschwenz oder sonstwie heißen, immer müssen sie reden und reden, immer laufen sie mit geschwollenem Hahnenkamm herum – sollen sie doch andere Dinge an ihren sonst ganz brauchbaren Körpern schwellen lassen, das reicht völlig! Ich brauche keinen Vormund, keinen Besserwisser oder Gehirnakrobaten, ich will einen, der mit den Händen reden kann, der weiß, daß mein ganzer Körper Ohren für diese Sprache hat…
Trotz ihres maßlosen Zorns werden ihr gleich die Knie weich, als sie Goffs festen Griff am Oberarm spürt.
“Beim Großen Sirius! Es war doch nur ein Spaß, Himmel, sind Sie empfindlich…, oder sind es die Quallen?”
Die ungeschickt verborgene Ratlosigkeit in seiner Stimme besänftigt sie, aber so ganz ist die Wut noch nicht weg, obwohl die weniger Goff als allen anderen Männern der Welt gilt. “Ich kenne Dinge, die werden klitzeklein, wenn eine Frau sie ein Viertelstündchen mit den Kleinigkeiten des Lebens erfreut hat”, sagt sie spitz. Es tut ihr ungemein gut, Goff einen Augenblick lang hilflos zu sehen, und fast will es ihr scheinen, als färbten sich seine Ohren unter dem dick aufgetragenen Ockerperlmutt schwach rötlich. Hendrikje kann ein Kichern nicht mehr unterdrücken, das direkt aus ihrem Bauch zu kommen scheint.
Goffs Ohren werden wieder blasser. Als ob er das spürt, kratzt er sich erst hinter dem einen, dann hinter dem anderen, merkt plötzlich, welch lächerliches Bild er abgibt, und tut das einzig Richtige, um die Situation zu retten: Er schlingt seine kräftigen Arme um ihren Nacken, preßt ihren Kopf gegen seine Brust und flüstert heiser: “Ich bin ein Vollidiot. Was meinst du denn, warum ich mich mit dir treffen wollte, warum ich das GG nach dir befragt und vor dem Zentrum auf dich gewartet habe… Und was mache ich? Ich rede und rede und rede…”
Erst ist Hendrikje ungemein zufrieden mit dieser Wendung. Sie schnuppert ein wenig in den Falten von Goffs Gewand und stellt fest, daß er etwas anders riecht als am Nachmittag – süßlicher, irgendwie nach Blumen. Dann regt sich wider Erwarten Trotz in ihr. So schnell sollte es eigentlich nicht gehen. Sie befreit sich sanft – aber nicht zu sanft – aus seiner Umarmung und geht sogar einige Schritte auf die Achternak-Pylone zu, ohne sich nach ihm umzusehen. Das ist auch nicht nötig, sie spürt, daß er ihr folgt.
Hendrikje schaut zu dem einsamen Marmormenschen empor und fragt leichthin: “Möchte nur mal wissen, warum das Denkmal so hoch ist, daß man gar nicht mehr erkennen kann, wer da eigentlich draufsteht.”
Goff lacht kurz auf. “Die Erbauer haben die Kennziffern überboten, das ist alles! Dreihundert Prozent, wenn es möglich gewesen wäre, hätten sie wohl sogar ein Loch in die Schutzglocke geschlagen…”
Als Hendrikje in sein Gelächter einstimmt, wird er ärgerlich. “Lach nicht, es stimmt! Sie haben wirklich bis unter die Decke gebaut. Das ist nicht lächerlich, das ist ein Alarmsignal.” Dann fühlt sie seine Hand auf ihrer Schulter. Anders als vorhin – vorsichtig, tastend, mit den Fingerspitzen um Erlaubnis bittend. “Entschuldige”, sagt er müde, “ich meinte es nicht böse. Weißt du, wir sind längst nicht so stark, daß wir über diese Dinge lachen dürften. Haben wir doch einfach mehr Ehrfurcht vor unseren Fehlern als vor unseren Leistungen. Dann wird es schon werden…”
Ist er wirklich so? denkt Hendrikje, ohne sich darüber klarzuwerden, ob es die Faszination oder die Schwäche dieses Mannes ausmacht, daß er immer nur ein Bein auf der Erde hat, wie sie meint. Vielleicht hat er sogar recht. Sie merkt, daß ihre Haltung an Bestimmtheit verliert, und macht einen kleinen Bogen um die Geschlechterfrage.
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