Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)
könnte, es variiert nur von uns gewertete Ton- und Geräuschfolgen nach einer Handvoll Algorithmen, die es in der Musikgeschichte gefunden hat. Sich selbst musikalisch auszudrücken
– dazu ist es unfähig. Immerhin hat es das Projekt durchkalkuliert und gebilligt…”
Er schweigt eine Zeitlang, dann lacht er auf und sagt: “Einen ersten Erfolg haben wir schon zu verzeichnen. Eigentlich mußte er zwangsläufig eintreten, trotzdem waren wir überrascht: Mit dem sprunghaften Ansteigen der Gedichte und Malereien ist eine deutliche Abnahme des Quallenkonsums zu registrieren, und die Anzahl der Fälle für das Büro zur Untersuchung abweichender Verhaltensweisen ist ebenfalls im Sinken begriffen. Leider pfuschen uns einige ganz pflichttreue Bürger immer wieder dazwischen und melden die Rebellen, wenn sie welche ertappen…”
“Was wollt ihr denn eigentlich, und wer ist das: wir?” fragt Hendrikje zaghaft, die Atempause nutzend. Goff hat nur ein Bruchteil von dem erzählt, was er weiß, was ihn bewegt, da ist sie sicher, und diese Gedrängtheit, Knappheit mag unter Eingeweihten angebracht sein – sie verwirrt es nur, und lediglich das dunkle Gefühl von Gefahr und Aufbruch teilt sich ihr mit.
“Sie haben es also nicht verstanden. Lassen Sie das jetzt, bitte!” Er nimmt ihr die Dose mit den Quallen aus der Hand, und sie wagt keinen Widerspruch. “Das erschließt sich kaum über das Gefühl – obwohl, gerade darum geht es eigentlich…” Er überlegt angestrengt. “Was wir wollen? Wir versuchen einen Weg einzuschlagen, der künftigen Generationen ermöglicht, sich von Jahrtausende alten Fesseln zu befreien, wir wollen, daß dem Menschen zwei Dinge genügen, Glück zu empfinden: Schöpfertum in seiner Arbeit und Liebe in seinen Beziehungen. Ob man eines Tages von einer Ethischen Revolution sprechen wird? Die Zeit reift heran, und vielleicht sind wir die ersten Wegbereiter…”
Hendrikje hört atemlos, mitunter auch skeptisch zu. Beeindruckt nicht so sehr wegen der kühnen Behauptungen und Schlußfolgerungen als vielmehr von der Leidenschaft, mit der Goff sprach. Verstanden hat sie eigentlich kaum mehr als vorher. Was will Goff denn, ist ihr Leben vielleicht unschöpferisch, liebt sie zuwenig? Sagt er das womöglich nur, um eine Rechtfertigung für seine inoffizielle Tätigkeit als Mungojäger zu haben? Ja, überhaupt: Was haben die Mungos damit zu tun?
Hermel Goff starrt immer noch versonnen in die Nacht hinaus, aber der Zug in seinem Gesicht ähnelt in keiner Weise Ergars Selbstgefälligkeit nach solch einer Ansprache, eher scheint er darauf hinzudeuten, daß dieser Mann in Gedanken schon dort ist, wohin ihm seiner Meinung nach die Menschheit folgen muß.
“Sie schulden mir noch eine Antwort, Hermel Goff. Wer ist das: wir?” fragt sie vorsichtig.
Goff schreckt auf und blickt zu ihr hinüber. “Der MOBS wurde gegründet, als die Mungos noch gar kein Problem bedeuteten. Medizinischer Observationsdienst – ein zutreffender Name!” Er lacht leise auf. “Geht es denn nicht im wahrsten Sinne um die Gesundheit der Menschheit? Die Mungos bereiten uns viel Kopfzerbrechen, aber die Sorge um sie ist nur eine von vielen Aufgaben. Wir wachen über das Wohl aller Menschen, und dazu gehört eben vor allem auch das Wohlbefinden unserer Nachfahren. Oder sollen wir genauso von der Hand in den Mund leben wie frühere Generationen? Und was die Mungos betrifft – was wissen Sie eigentlich darüber?”
Hendrikje überlegt, ob sie ihm anvertrauen darf, daß Ergar geplaudert hat. Von Goff geht etwas aus, was ihr Zaudern rechtfertigt. Andererseits würde sie wohl kaum jemandem mehr vertrauen als diesem Mann, stellt sie überrascht fest. Zwar ist sie längst nicht mit allem einverstanden, was er sagte, aber es klang zutiefst aufrichtig, war Ergebnis innerer Auseinandersetzungen – das spürt Hendrikje, und trotz anfänglichem Widerstreben beginnt sie zu erzählen.
Noch während sie redet, runzelt Goff die Stirn, flucht sogar leise, dann kann er nicht länger an sich halten. “Dieser Dummkopf! Plaudert Dinge aus, die kreuzgefährlich sind, und dann sagt er nicht mal die ganze Wahrheit!”
Hendrikje erschrickt, und unwillkürlich steht sie Ergar bei. “Vielleicht weiß er nur die Hälfte!”
Goff brummt unwillig. “Noch schlimmer. Er verdreht alles. Klar, die Mungos zu integrieren ist zur Zeit einfach unmöglich. Wir haben doch unsere Leute in ihren Gruppen und wissen Bescheid. Wir haben ihnen einen ganzen
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