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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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durchdringt.
    “Ich werde Ihnen alles erzählen, Hendrikje. Dann werden Sie wohl eine Weile enttäuscht sein, aber ich denke, Sie besitzen Verstand genug, die Hintergründe zu begreifen. Kommen Sie.”
    Hermel Goff führt sie zu einer breiten Plusterfarnrabatte, die aber schon zu welken beginnt, und läßt sich hineinfallen. Sie setzt sich in einigem Abstand neben ihn und schilt sich wieder eine dumme Gans, ohne sich jedoch erklären zu können, woher diese Hemmungen rühren, die sie Goff gegenüber empfindet.
    Er zieht sie ohne viel Federlesens an sich heran und sagt: “Es gehört zu meinen Aufgaben, solche Gedichte zu verfassen. Auf diese Idee sind nämlich ganz andere Leute gekommen.” Er macht mit der Hand eine unbestimmte Geste in den Himmel. “Wir versprechen uns davon einiges, wenn es gelingt, damit eine richtige Bewegung ins Leben zu rufen.”
    “Aber es gilt doch als sehr undiszipliniert, Wände, Straßen oder Bäume zu beschmieren, wie kann man daraus eine Bewegung machen wollen? Das widerspricht doch der Tageslosung vom Mittwoch, da heißt es…”
    “Ach Quatsch!” unterbricht Goff ihren hastig vorgetragenen Einwurf. “Das ist es doch gerade! Disziplin ist das A und O unserer Gemeinschaft, zweifellos, und wir wollen sie – beim Großen Sirius – auch nicht abschaffen. Ein aus Individuen bestehendes Gemeinwesen kann nur auf der Basis von Konventionen und deren Einhaltung existieren. Unsere Gesetze sind frei von jeder Willkür, aber sie üben Zwang aus wie jedes andere Gesetz auch, selbst Naturgesetze sind Zwänge…” Seine Augen blicken starr in das nächtliche Dunkel. “Zwang engt ein, führt zu Frustrationen oder zur Behäbigkeit, Trägheit. Er behindert das Schöpfertum im Menschen, unterdrückt die Kreativität allein durch die vermeintlichen Grenzen, die er setzt. Wir haben uns einer dieser Grenzen genähert, die Unzufriedenheit wächst, obgleich kaum einer sagen könnte, womit er denn unzufrieden ist. Diese Unzufriedenheit trägt ungeheuer schöpferische Potenzen in sich, aber auf eine Weise, die uns ungewohnt und beinahe fremd geworden ist…”
    Hendrikje wird es kühl. Aus Goffs Worten weht ein eisiger Hauch, der sie frieren läßt. Was redet er da von Zwang und Unzufriedenheit, was vergreift er sich an den Fundamenten der Gemeinschaft, warum macht auch er sich über die Tageslosung lustig, wie Ergar? Sie haben eine großartige Welt geschaffen, und er spricht von Einengung und Behinderung.
    “… Wir wollen keine Auflehnung provozieren, dazu gibt es keinen Grund, aber ein klein wenig Rebellion brauchen die Leute. Es ist tragisch: Wir, die wir doch eigentlich für die Ordnung und Sicherheit innerhalb der Gemeinschaft sorgen, sollen den Leuten in Erinnerung rufen, was das ist – zu rebellieren, damit sie die Widersprüche rehabilitieren, die so voreilig aus unserem Denken entfernt wurden. Was den Bürgern jetzt noch als Möglichkeit erscheint, etwas reizvoll Verbotenes zu tun, ist der Keimling eines Projekts, das uns helfen soll, eine grundsätzlich neue Entwicklung einzuleiten. Die Meuterer von heute werden einst die Schöpfer von morgen sein, und deshalb lassen wir sie nicht nur schlechthin gewähren, sondern ebnen ihnen sogar die Wege mit unsichtbaren Händen. Sie wissen doch: Ideen und Ideale sind am attraktivsten, wenn sie sich im Widerspruch zum Bestehenden befinden, und wir sind dabei, einen von uns gesteuerten Widerstand gegen uns selbst zu organisieren. Aber dazu benötigen wir Ideen, und das Ersinnen neuer Wege beginnt mit der Klage, mit dem wütenden Aufschrei – heute fängt es mit kitschigen Gedichtchen an, die inoffizielle Mitarbeiter des MOBS an die Wände krakeln, um damit die Unruhigen, Unzufriedenen zu ermutigen, es ihnen gleichzutun…”
    “Wie hat sich das Große Gehirn nur so etwas ausdenken können?” fragt Hendrikje und schluckt krampfhaft, um die Trockenheit in ihrem Hals loszuwerden.
    “Das Große Gehirn?” Goff lächelt verächtlich. “Das wird langsam alt… Das GG ist ein statisches Wesen, zwar ein hervorragender Organisator und Lenker, aber mit seiner Phantasie steht es nicht gerade zum besten. Es ist ein Wesen ohne Geschichte, eine Denkprothese, weiter nichts. Ein Amigo ist tausendmal schneller als das gesündeste menschliche Paar Beine, aber mit einem Amigo kann man nicht tanzen. Wußten Sie schon, daß das GG total unmusikalisch ist? Es kann zwar hervorragende Sinfonien komponieren, aber es komponiert nur das, was uns seiner Meinung nach gefallen

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