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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Apparat preßt. Er sieht diese Prozesse, ohne zu wissen, wie sein Verstand diese modellhaften Abbildungen produziert – aber das interessiert ihn erst, seit er Brunos Alpträume auf dem Encephalovisor miterleben konnte.
    Ohne die Arbeit am Aktinometerpult wäre er wohl nie auf die Idee gekommen, Tauchboote zu konstruieren. Eigentlich war es Zufall, daß er in einer Monographie über die Dynamik der Jupiteratmosphäre blätterte. Einige Besonderheiten der konvektiven Zirkulation ließen sich seiner Meinung nach am Modell der Jupiteratmosphäre einfacher mathematisieren, das stellte sich jedoch als Trugschluß heraus. Aber das einmal entfachte Interesse für diesen Riesenplaneten, der fast eine Sonne werden könnte, erlosch nicht wieder.
    Ein merkwürdiger Geruch reißt Styx aus diesen Gedanken. Der süßliche Duft nach frischem Holz kommt ihm bekannt vor. Irmold Styx schnuppert irritiert, denn gleichzeitig wird ihm bewußt, daß dieser Geruch auf der Galerie nicht gerade gewöhnlich ist, er ist nämlich ein charakteristisches Merkmal des hitzebeständigen Vierkomponentenklebers, mit dem die Keramitdichtungen der optischen Geräte eingeleimt werden. An der Backbordwand der Galerie entdeckt er braunrote Kringel, sie glänzen noch frisch, und aus einigen laufen zähflüssige Fäden die Wand herab.
    Sein Unterbewußtsein rattert automatisch die Checkliste des Havarieprogramms herunter, und ehe er überhaupt Beklemmung, Bestürzung, Angst oder Erleichterung empfinden kann, signalisiert der wache Verstand, daß eine Kombination von Lecks dieser Art unwahrscheinlicher ist als der Zusammenprall zweier Kometen. Die Tanks mit dem Kleber liegen zwei Decks tiefer, sie müßten alle geplatzt sein – das wäre noch möglich. Aber wie sollte das Zeug durch etliche Schotte, Decken oder Böden in die Galerie gelangen? Styx' Unterbewußtsein ist wieder eine Winzigkeit schneller. Noch bevor er die Kleckse als Buchstaben identifiziert hat, kennt er bereits den Wortlaut der Mitteilung.
    Alkohol / Höllische Achterbahn / betäubt nur Stunden / aber das Leben zählt Jahre / Stümper, der sich König nennt / Usurpator / Omega.
    Styx schnauft verdrießlich. Wieder mal der Geisterpoet. Erst fand er dessen Schmierereien ja beachtenswert und hat sogar darüber nachgedacht, da war er sogar ärgerlich, als Skagit seine dämlichen Kommentare gab. Jetzt aber stören ihn diese larmoyanten Winseleien. Vielleicht ist es Eifersucht, Styx will darüber nicht weiter nachdenken, denn sein eigener Mißerfolg hat ihn sehr verbittert. Daß diese Ziege, diese Domina, ihn mit einer an Perversion grenzenden Ausdauer zappeln läßt, wenn er unter irgendeinem Vorwand durch ihr Büro stolpert – das ist erniedrigend genug. Daß er aber unfähig war, sein tiefes Gefühl für diese Sadistin in irgendeinen sprachlichen Rhythmus zu kleiden, hat ihn zutiefst gekränkt. Für ihn war klar, daß nur Skamander der Urheber der merkwürdigen Omegasätze, wie die Gedichte von der Mannschaft inzwischen genannt wurden, sein konnte. Das imponierte ihm unbegreiflicherweise, und als er zu erkennen glaubte, daß Skamander offenbar etwas aus dem Gleichgewicht geraten war – welch anderen Grund als Domina gäbe es da? –und seinen Schmerz nicht für sich behalten konnte, da beschloß Irmold, Skamander endlich eine Niederlage zuzufügen.
    Als er die Tube mit der Leuchtfarbe in seiner Hand fühlte und betont gleichgültig durch den Drachenkreuzer schlenderte, wiederholte er in Gedanken unentwegt die Verse, die er in einer poetischen Sternstunde komponiert hatte: Liebe / Nur in Maßen stärkt sie das Herz / gleich dem Gift der Tollkirsche / wie kann man maßvoll lieben / Omega.
    Aber wie er so dieses Meisterwerk unentwegt in sich erklingen ließ, packte ihn unerwartet tiefe Niedergeschlagenheit bei dem Gedanken, vor Liebe sterben zu müssen, und ein gewaltiger Trotz wuchs aus dieser Trauer, er lachte plötzlich zornig auf, ohne auf die verstörten Blicke der ihm entgegenkommenden Energetiker zu achten, er reckte sich, ballte die Fäuste und erlebte im rechten Augenblick die zweite poetische Sternstunde in seinem Leben. Denn was ihm da auf einmal durch den Sinn ging, schien ihm so stolz und männlich, daß alles seichte Geschwafel von Kreislaufstimulanzien und Arterhaltungstrieb dagegen nur Gewäsch sein konnte.
    Stunden später stand die halbe Ikarosmannschaft im Trailerhangar und lachte sich halbtot. Skagit deklamierte mit Inbrunst: “Sauber / Wolltest du mich weiterhin / im Staub

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