Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
Vom Netzwerk:
dem düsteren Eifer eines besessenen Malers, der das Diorama der Apokalypse entwirft. Styx mißgönnt dem Kameraden nicht einen Erfolg, trotzdem wünscht er von ganzem Herzen, Skagit möge sich irren. Denn wenn dessen Prognosen Wahrheit würden – der Erde stünde der Untergang bevor.

KAPITEL 9
    “Nirschvog, meine Zuchtperle!” Roberts knabenhafte Stimme dringt in einen Traum, den Hendrikje gern noch ein Weilchen weiterträumen würde, denn da ist etwas mit riesigen, weißen, rauschenden Flügeln, deren Schläge sie mit einer Macht durchzucken, die ihr irgendwie bekannt vorkommt, und das kleine Kaninchen in ihrem Schoß löst ebenfalls geheimnisvoll erregende Assoziationen aus. Aber der kleine Serviceautomat imitiert so gekonnt Ergars Tonfall, daß der Traum auseinanderweht wie eine aufgewirbelte Staubfahne, und vielleicht ist es auch nur Staub, in den Ergars Botschaft wie eine Windhose fährt.
    “Bitte sei so nett, mein kleines Plusterfarnmädchen, und überlege einmal, wo mein Stirnreif heute seinen zeitweiligen Platz gefunden hat. Wenn du der Meinung bist, er kleidet mich nicht, sage es mir ruhig offen ins Gesicht, du weißt, ich vertraue deinem sicheren Instinkt für modische Details. Mein Schmeichelmooscape, auf das du dich zur Ruhe gebettet hast, kannst du in den Recyclingschacht stecken, ich brauche sowieso ein neues. Aber bitte vergiß nicht, wo du meine Karneolspange hinlegst, falls du sie finden solltest. Das beste ist, du legst sie wieder dahin, wo du sie weggenommen hast, dann finde ich sie heute abend…”
    Hendrikje gibt Robert wütend ein Zeichen zu schweigen. Dann erst öffnet sie die Augen und sieht genau in das röte Glühen der hinter dem Horizont hervorkriechenden Sonne. Wie jeden Morgen folgt ihr Blick den feinen Linien, die das Wabennetz der Schutzglocke von Amorix nur im Licht der Morgensonne erkennen lassen, und dann stutzt sie.
    Über dem Strahlen der Tageslosung sind weitere Schriftzeichen zu sehen, und für Sekunden denkt Hendrikje: Da hat ein ganz Tollkühner sogar das Urbanidum Maximum beschmiert. Aber die Buchstaben scheinen über dem Dach des Urbanidums in der Luft zu schweben, und dort pflegt sich Farbspray bekanntlich in feine Nebel aufzulösen…
    Ganz automatisch spricht sie die Tageslosung nach: “Nicht rückwärtsschauen – vorwärts gehen.” Aber heute will ihr diese morgendliche Übung zur Tageseinstimmung nicht ganz gelingen, denn die merkwürdigen Zeichen darüber erinnern sie an Hermel Goff. Und plötzlich wird ihr klar, daß die Worte auf die Panoramafläche ihres Wohnkontingents geschrieben wurden.
    Wie, können sich die Igel lieben / sie legen ihre Stacheln an / wärst du ein Weilchen noch geblieben / vielleicht hätt ich es auch getan.
    “Beim Großen Sirius”, flüstert sie schuldbewußt, denn daß sogar Ergar solcher Ergüsse fähig ist, erfüllt sie mit mehr Staunen als Heiterkeit. Hat sie ihm so sehr unrecht getan? Nachdenklich schiebt sie sich eine Qualle zwischen die Zähne und starrt auf die Verse. Ergar läßt sich dazu herab, ihr ein Gedicht zu widmen – da spielt es keine Rolle, ob es übler Kitsch oder hehre Lyrik ist. Allein die Tatsache ist so etwas wie eine Weltenwende.
    Heiße Scham überfällt Hendrikje. Ob er ahnt, was letzte Nacht geschehen ist?
    Aber in die Scham mischt sich unbegreifliche Beschwingtheit. Hendrikje tritt an die Panoramawand heran und fährt mit dem Finger versonnen über die Schrift. Da aber stutzt sie ein zweites Mal. Die Fläche ist spiegelglatt, setzt dem zärtlichen Gleiten der Fingerkuppen nicht den geringsten Widerstand entgegen. Und nun erkennt sie auch den winzigen Klecks am Ende der letzten Zeile, den sie erst für einen verunglückten Punkt gehalten hat. Es sind zwei ineinander verschlungene Initialen: H und G, und die Worte wurden von außen an die durchsichtige Wand geschrieben…
    Aufwallender Zorn durchzuckt sie. Ergar ist ein Idiot! Nie würde der so etwas fertigbringen, nie!
    Aber ihr Ärger vergeht schnell, sicher auch deshalb, weil ihr schwach die Ungerechtigkeit in ihren Erwartungen bewußt wird. Dieser Goff, denkt sie, wie hat er das nur angestellt? Ihr Finger zeichnet wieder die Buchstaben nach, vielleicht nicht ganz so liebevoll wie zuvor, aber dafür mit einem prickelnden Gefühl, wie es immer dann entsteht, wenn man etwas Verbotenes tut.
    Hendrikje begreift auf einmal, daß sich ihr Leben in den letzten vierundzwanzig Stunden entscheidend verändert hat, ohne jedoch genau sagen zu können, worin diese

Weitere Kostenlose Bücher