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Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition)

Titel: Drachenkreuzer Ikaros: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Szameit
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Veränderung eigentlich besteht. Doch ahnt sie bereits, daß heute Entscheidungen fällen, an denen Ergar und Goff als auslösende Faktoren, nicht aber als wichtige Objekte beteiligt sein werden.
    Auf dem Weg ins Urbanidum Universum kauft sie sich einen neuen Schmeichelmoosoverall. Als das Dreiäuglein an der Kasse mit unsichtbaren Ultraschallschwingungen nach ihrem Psiegel tastet, um mit Hilfe ihres persönlichen Kodes die Abbuchung vom Konfektionskonto in Auftrag zu geben, berührt das sie nicht sonderlich. Früher bereitete ihr die Vorstellung vom Schrumpfen ihres Punktekontos beinahe körperlichen Schmerz. Aber heute ist alles anders, und einige Male ist sie sogar schon erschrocken, als ihr die Unwichtigkeit vieler einst unentbehrlicher Kleinigkeiten bewußt wurde.
    Das erstemal spürt sie etwas in sich vibrieren, wenn sie die Tageslosung liest: Nicht rückwärts schauen – vorwärts gehen. Wie eine Botschaft will es ihr scheinen, eine Aufforderung an sie ganz persönlich. Es ist eine gute Tageslosung, denn das erstemal in ihrem Leben spürt Hendrikje deren mobilisierende, stimulierende Wirkung. Zwar glaubt sie einen winzigen Widerspruch zu geltenden Grundsätzen der Gewordensein-Aneignung zu sehen, die ja eigentlich fordern, den Blick zurück nie zu vergessen, aber eigentlich ist der Blick ins Gewordensein ja auch keiner zurück, sondern eher einer in die Tiefe…
    Vergnügt beobachtet Hendrikje zwei Mungos, die sie an den etwas steifen, weil verhaltenen Bewegungen erkannt hat. Die beiden mühen sich nur mäßig, ihren Zustand zu verbergen, wahrscheinlich deshalb, weil ein ihnen weit wichtigerer anderer Zustand, in dem sie sich auch befinden und der sein höchstes Stadium erreicht zu haben scheint, ihre Empfindsamkeit für die Umwelt vorübergehend stark eingeschränkt hat. Der Frau gelingt es etwas besser, die hochtourige Motorik als übersprudelndes Temperament auszugeben, bei ihm dagegen hat diese eher den Anstrich hochgradiger Nervosität.
    Hendrikje sieht auch, daß andere Bürger sehr wohl begriffen haben, was mit diesem verliebten Pärchen los ist, und daß alle mehr oder minder demonstrative Gleichgültigkeit vorschützen, hinter der hier und da sogar Sympathie aufzublitzen scheint. Besorgt hält sie nach MöpsenAusschau, in der festen Überzeugung, sie schon am Gesichtsausdruck zu erkennen. Aber entweder ist das Netz des MOBS längst nicht so weit verzweigt, wie gemeinhin angenommen wird, oder dessen offizielle und inoffizielle Mitarbeiter sind nur in Ausnahmefällen so wachsam wie ein gewisser Hermel Goff.
    Der Gedanke an Goff löst in Hendrikje eine Kettenreaktion aus. Sie erinnert sich sofort an das, was er über die Akzeleration der Lebensgeschwindigkeit gesagt hat, und daran, daß die Mungos – ausnahmslos alle Mungos! – ein schlimmes Ende erwartet. Die ausgeklügelte Physiologie des menschlichen Organismus gestattet eben keine unbegrenzte Steigerung des Lebenstempos, wer nicht an irgendeinem chronisch verlaufenden Organversagen zugrunde geht – sei es durch atrophische Veränderungen, Stenosen, Stomien, Plegien oder ähnliches –, der endet im Wahnsinn…
    Weshalb setzen sie sich darüber hinweg? fragt sich Hendrikje. Sie müssen es doch wissen, sie müssen doch begreifen, daß sie keine Chance haben! Aber gibt es eine Möglichkeit, den Mungos anders zu helfen, als es der MOBS versucht – und der Gemeinschaft trotzdem nicht zu schaden? Noch vermag Hendrikje nicht, eine Antwort auf diese Frage zu geben, denn eine vage Ahnung sagt ihr, daß ihr Bild von den Mungos immer noch nicht vollständig ist, daß ein sehr wichtiges Steinchen dieses Mosaiks fehlt…
    Der Anblick der beiden scherzenden und herumalbernden Mungos erfüllt sie mit tiefem Mitleid, und sie begreift ein Weiteres: Goff hatte recht mit seinen Worten, daß der Mensch dazu übergehen müsse, sich selbst zu verändern. Dieser hat bisher immer nur versucht, die Umwelt nach seinem Geschmack zu formen, und außer acht gelassen, daß er selbst ja der wichtigste Faktor seiner Umwelt ist. Aber ob Goff es so gemeint hat?
    Hendrikje setzt ihren Weg durch das erwachende Amorix fort. Und wie sie so die Geräusche und Gerüche dieser anlaufenden Großstadtmaschine in sich aufnimmt, kommt ihr eine schreckliche Erkenntnis.
    Unsere ganze Gemeinschaft ist doch ein riesiger Mungo! denkt sie entsetzt. Wir leben immer schneller, produzieren in kürzerer Zeit immer mehr, verbrauchen jedes Jahr das doppelte des Vorjahres – eines Tages wird nichts

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