Drachenläufer
Führerhaus saß eine Frau, gekleidet in eine grüne Burkha, in dem anderen ein Mann, dem die Augen verbunden waren. Beide Pritschenwagen fuhren langsam die gesamte Aschenbahn entlang; man wollte der Menge offenbar ausreichend Gelegenheit zum Gaffen geben. Die Leute reckten die Hälse, zeigten mit dem Finger auf die Wagen, stellten sich auf die Zehenspitzen. Ich warf einen Blick auf Farid und bemerkte, dass sein Kehlkopf auf und ab ging: Er murmelte mit angehaltenem Atem ein Gebet.
Die roten Wagen rollten nun, jeder in eine Staubwolke gehüllt, über das Spielfeld. Am anderen Ende angekommen, stieß ein dritter Wagen hinzu, mit einer Fracht, angesichts derer ich endlich verstand, was es mit den beiden Löchern hinter dem Tor auf sich hatte. Ein Raunen ging durch die Menge, als der Wagen entladen wurde.
»Willst du bleiben?«, fragte Farid mit ernster Miene.
»Nein«, antwortete ich. Am liebsten wäre ich Hals über Kopf davongerannt. »Aber wir müssen wohl bleiben.«
Zwei Taliban, Kalaschnikows über die Schultern gehängt, halfen dem Mann mit der Augenbinde von dem einen Pick-up. Die Frau in der Burkha wurde, kaum dass man sie von dem anderen Wagen gehoben hatte, schwach in den Knien und sank zu Boden. Die Soldaten richteten sie auf, doch sie fiel wieder hin. Als man sie abermals aufzuheben versuchte, fing sie zu schreien an und trat mit den Füßen um sich. Ich werde, solange ich lebe, diesen Schrei nicht vergessen können. So schrie wohl auch ein wildes Tier, das sich aus der zugeschnappten Falle zu befreien versucht. Zwei weitere Taliban eilten hinzu und halfen dabei, die Frau in eines der Löcher zu zwingen, worin sie bis zur Brust verschwand.
Der Mann mit der Augenbinde ließ sich wehrlos in das andere, für ihn ausgehobene Loch stecken. Von den beiden waren jetzt nur noch Oberkörper und Kopf zu sehen.
Neben dem Tor stand ein gedrungener Geistlicher mit weißem Bart und grauem Gewand. Er hielt ein Mikrofon in der Hand und räusperte sich. Auf den Tribünen war es still geworden, nur die Frau hinter ihm im Loch schrie ununterbrochen, während er mit näselnder, tremolierender Stimme ein langes Gebet aus dem Koran rezitierte. Ich erinnerte mich an Babas Worte, ausgesprochen vor langer Zeit: Man sollte auf die Barte dieser ganzen selbstgerechten Affen pinkeln. Sie tun nichts anderes, als ihre Gebetsperlen zu befingern und aus einem Buch aufzusagen, das in einer Sprache geschrieben ist, die sie nicht einmal verstehen. Gott stehe uns bei, sollte Afghanistan jemals in ihre Hände fallen.
Als er mit dem Gebet zu Ende war, räusperte sich der Geistliche ein weiteres Mal. »Brüder und Schwestern!«, rief er auf Farsi, und seine Stimme dröhnte durch das Stadion. »Wir sind heute hier, um die Scharia anzuwenden. Wir sind heute hier, um dem Recht zu genügen. Wir sind heute hier, weil der Wille Allahs und das Wort des Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm, hier in Afghanistan, unserer geliebten Heimat, lebendig sind. Wir hören und befolgen, was Allah uns sagt, denn vor seiner Größe sind wir nur armselige, machtlose Wesen. Und was sagt uns Allah? Ich frage euch! Was sagt er uns? Allah sagt, dass Sünder gemäß ihrer Sünde zu bestrafen sind. Das sind nicht meine Worte noch die meiner Brüder. Dies sind die Worte Allahs!« Er deutete mit der freien Hand zum Himmel. Mir brummte der Schädel; die Sonne brannte unerträglich heiß.
»Sünder sind gemäß ihrer Sünde zu bestrafen!«, wiederholte der Geistliche ins Mikrofon. Es senkte die Stimme, betonte jedes einzelne Wort: »Und welche Strafe, Brüder und Schwestern, geziemt einem Ehebrecher? Wie sollen wir jene bestrafen, die die Heiligkeit der Ehe entehrt haben? Wie sollen wir mit denen verfahren, die in Gottes Antlitz spucken? Wie begegnen wir denen, die die Witwen im Hause Gottes mit Steinen bewerfen? Wir werden sie steinigen!« Er schaltete das Mikrofon aus. In der Menge machte sich Unruhe breit.
Farid schüttelte den Kopf. »Und so etwas nennt sich Muslim«, flüsterte er.
Aus dem Pick-up stieg nun ein großer, breitschultriger Mann. Sein Anblick ließ einige Zuschauer laut aufkreischen, und diesmal war keiner da, der sie mit der Peitsche zurechtwies. Der große Mann trug ein weißes Gewand, das in der Nachmittagssonne gleißend hell leuchtete. Der weite Saum flatterte im Wind, als er wie Jesus am Kreuz die Arme ausbreitete. Die Menge grüßend, drehte er sich langsam um die eigene Achse. Als er sich uns zuwandte, sah ich, dass er eine schwarze runde
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