Drachenläufer
Geschenk vorzuschlagen. Also suchte Baba jeden Winter selbst etwas aus. Ein Jahr kaufte er ihm einen japanischen Spielzeug-Lastwagen, ein anderes Jahr eine elektrische Eisenbahn mit Schienen und Zubehör. Im letzten Jahr hatte Baba Hassan mit einem ledernen Cowboyhut überrascht, wie ihn Clint Eastwood in Zwei glorreiche Halunken getragen hatte - dem Film, der in unserer Gunst Die glorreichen Sieben als Lieblingswestern abgelöst hatte. Den ganzen Winter über trugen Hassan und ich abwechselnd diesen Hut und schmetterten die berühmte Filmmusik, während wir über Schneewälle kletterten und einander totschössen.
Wir zogen die Handschuhe aus und entledigten uns an der Haustür unserer schneebedeckten Stiefel. Als wir in die Halle traten, fanden wir dort am Ofen sitzend Baba vor, neben ihm ein kleiner Inder mit schütterem Haar, der einen braunen Anzug und eine rote Krawatte trug.
»Hassan«, sagte Baba und lächelte verschämt, »ich möchte dir dein Geburtstagsgeschenk vorstellen.«
Hassan und ich blickten einander verständnislos an. Nirgendwo war ein in Geschenkpapier verpacktes Päckchen zu sehen. Auch keine Tüte. Kein Spielzeug. Nur Ali, der hinter uns stand, und Baba mit diesem zierlichen Inder, der ein wenig wie ein Mathematiklehrer aussah.
Der Inder in dem braunen Anzug lächelte und hielt Hassan zur Begrüßung die Hand hin. »Mein Name ist Dr. Kumar«, sagte er. »Ich freue mich, dich kennen zu lernen.« Er sprach Farsi mit einem kräftigen, rollenden Hindi-Akzent.
»Salaam alaykum«, sagte Hassan unsicher. Er neigte kurz höflich den Kopf, doch seine Augen suchten seinen Vater, der hinter ihm stand. Ali trat näher und legte die Hand auf Hassans Schulter.
Baba blickte in Hassans misstrauische und verwunderte Augen. »Ich habe Dr. Kumar aus Neu-Delhi kommen lassen. Dr. Kumar ist ein plastischer Chirurg.« »Weißt du, was das ist?«, fragte Dr. Kumar.
Hassan schüttelte den Kopf. Er blickte Hilfe suchend zu mir hinüber, aber ich zuckte nur mit den Schultern. Ich wusste bloß, dass ein Chirurg einen heilte, wenn man eine Blinddarmentzündung hatte. Das wusste ich, weil einer meiner Klassenkameraden im Jahr zuvor daran gestorben war und der Lehrer uns erklärt hatte, dass man zu lange damit gewartet habe, ihn zu einem Chirurgen zu bringen. Wir blickten beide zu Ali hinauf, aber bei ihm wusste man natürlich nie so recht, woran man war. Sein Gesicht blickte wie immer ungerührt drein, aber es hatte sich ein ernster Ausdruck in seine Augen geschlichen.
»Nun«, sagte Dr. Kumar, »meine Arbeit besteht darin, Dinge an den Körpern der Menschen in Ordnung zu bringen. Manchmal an ihren Gesichtern.«
»Oh«, sagte Hassan. Er blickte von Dr. Kumar zu Baba und zu Ali. Seine Hand berührte seine Oberlippe.
»Es ist ein ungewöhnliches Geschenk, ich weiß«, sagte Baba. »Und wahrscheinlich nicht das, was du dir vorgestellt hast, aber von diesem Geschenk wirst du immer etwas haben.«
»Oh«, sagte Hassan. Er leckte sich über die Lippen. Räusperte sich. »Aga Sahib, wird es wohl... wird es wohl...«
»Ganz und gar nicht«, unterbrach ihn Dr. Kumar und lächelte freundlich. »Es wird nicht im Geringsten wehtun. Ich werde dir eine Medizin geben, und dann wirst du gar nichts von der ganzen Sache mitbekommen.«
»Oh«, sagte Hassan. Erleichtert erwiderte er das Lächeln. Zumindest ein wenig erleichert. »Ich hatte keine Angst, Aga Sahib, es war nur ...« Hassan mochte ja darauf hereinfallen, aber ich ganz bestimmt nicht. Ich wusste, dass man, wenn Ärzte sagten, es werde nicht wehtun, ganz schön in Schwierigkeiten steckte. Ich erinnerte mich mit Schrecken an meine Beschneidung im Jahr zuvor. Der Arzt hatte mir das Gleiche erzählt, mir versichert, dass es überhaupt nicht wehtun werde. Aber als die betäubende Medizin dann später in der Nacht nachließ, da hatte ich das Gefühl, als ob mir jemand ein glühendes Stück Kohle in die Lenden presste. Warum Baba bis zu meinem zehnten Lebensjahr gewartet hatte, um mich beschneiden zu lassen, war mir ein Rätsel und gehört zu den Dingen, die ich ihm niemals vergeben werde.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte Baba und strich Hassan über den Kopf. Plötzlich ergriff Hassan Babas Hände und küsste sie. Dann vergrub er das Gesicht darin. Baba nahm ihn in die Arme.
Dr. Kumar war einen Schritt zurückgetreten und beobachtete sie mit einem routinierten, höflichen Lächeln.
Ich lächelte wie alle anderen, wünschte mir aber insgeheim, auch irgendeine Narbe zu
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