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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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in die Nachbarschaft gezogen war, dass das Drachenkämpfen in seiner Heimatstadt strengen Regeln und Vorschriften unterliege. »Man tritt in einem abgegrenzten Gebiet gegeneinander an und darf nur in einem rechten Winkel zum Wind stehen«, erklärte er stolz. »Und man darf keine Kunstfaser statt der Glasschnur benutzen.«
    Hassan und ich warfen uns einen Blick zu und brachen in schallendes Gelächter aus. Der Hindi-Junge würde bald lernen, was die Briten bereits früher im Jahrhundert gelernt hatten und was die Russen schließlich in den späten Achtzigern lernen würden: dass Afghanen ihre Unabhängigkeit lieben. Afghanen sind Sitten und Bräuche lieb und teuer, aber sie verabscheuen Regeln. Und so war es auch beim Drachenkampf. Es gab nur eine Regel, nämlich, dass es keine Regeln gab. Lass deinen Drachen fliegen. Schneide die Gegner. Viel Glück.
    Aber das war noch nicht alles. Der wirkliche Spaß begann erst, wenn die Schnur eines Drachens durchtrennt war. Dann kamen die Drachenläufer ins Spiel, die Kinder, die dem windzerzausten Drachen hinterherjagten, bis er in einer Spirale auf einem Feld herunterkam, in jemandes Garten fiel, in einem Baumwipfel oder auf einem Dach landete. Die Jagd wurde ziemlich erbittert geführt - Horden von Drachenläufern schwärmten durch die Straßen, drängten sich schubsend aneinander vorbei wie diese Leute in Spanien, über die ich einmal gelesen hatte, die vor den Stieren herlaufen. In einem Jahr kletterte ein usbekischer Junge wegen eines Drachens auf eine hohe Kiefer. Ein Ast gab unter seinem Gewicht nach, und der Junge fiel beinahe zehn Meter in die Tiefe. Er brach sich das Genick und konnte nie wieder laufen. Aber als er fiel, hielt er den Drachen in den Händen. Und wenn ein Drachenläufer einmal einen Drachen in den Händen hielt, konnte ihm den niemand mehr streitig machen. Das war keine Regel. So war der Brauch.
    Der begehrteste Preis für einen Drachenläufer war der letzte abgestürzte Drachen eines Winterturniers. Er war eine echte Trophäe, etwas, was man auf dem Kaminsims zur Schau stellte, damit die Gäste es bewundern konnten. Wenn die Drachen am Himmel immer weniger wurden und schließlich nur noch die beiden letzten übrig waren, machten sich alle Drachenläufer bereit, diesen Preis zu ergattern. Jeder versuchte, sich in die aussichtsreichste Position zu bringen, spannte die Muskeln an, reckte den Hals. Die Augen verengten sich zu Schlitzen. Kämpfe brachen aus. Und wenn die Leine des letzten Drachens durchtrennt war, brach die Hölle los.
    Über die Jahre hatte ich eine Menge Jungen dabei beobachtet, wie sie Drachen hinterherjagten. Aber Hassan war bei weitem der beste Drachenläufer, den ich je gesehen hatte. Es war schon fast unheimlich, wie er jedes Mal, bevor der Drachen überhaupt gelandet war, bereits an der richttigen Stelle stand - ganz so, als besäße er einen inneren Kompass.
    Ich weiß noch, wie Hassan und ich an einem bedeckten Wintertag einen Drachen verfolgten. Ich hetzte hinter ihm her, sprang über Rinnsteine, schlängelte mich durch enge Straßen. Ich war ein Jahr älter als er, aber Hassan war der bessere Läufer, und ich fiel schon bald zurück.
    »Hassan! Warte!«, rief ich mit heißem, keuchendem Atem.
    Er wirbelte herum und vollführte eine Bewegung mit der Hand. »Hier entlang!«, rief er, bevor er um die nächste Ecke bog. Ich blickte nach oben, sah, dass die Richtung, in die wir rannten, genau entgegengesetzt zu der lag, in die der Drachen trieb.
    »Wir verlieren ihn! Wir laufen in die falsche Richtung!«
    »Vertrau mir!«, hörte ich ihn irgendwo vorn rufen. Ich erreichte die Ecke und sah Hassan mit gesenktem Kopf davonsausen, ohne auch nur ein einziges Mal zum Himmel hinaufzublicken. Der Rücken seines Hemdes war schweißnass. Ich stolperte über einen Stein und fiel hin - ich war nicht nur langsamer als Hassan, sondern auch weniger geschickt; ich hatte ihn immer um sein sportliches Talent beneidet.
    Als ich mich wieder aufrappelte, sah ich gerade noch, wie Hassan um eine weitere Straßenecke verschwand. Ich hinkte hinter ihm her, während ein stechender Schmerz mein aufgeschürftes Knie durchzuckte.
    Ich sah, dass wir auf einer ausgefahrenen unbefestigten Straße in der Nähe der Istiqlal-Mittelschule angelangt waren. Auf einer Seite befand sich ein Feld, auf dem im Sommer Salat wuchs, und auf der anderen eine Reihe von Sauerkirschbäumen. Ich entdeckte Hassan am Fuße eines Baumes, wo er es sich im Schneidersitz bequem gemacht

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