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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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hatte und eine Hand voll getrockneter Maulbeeren aß.
    »Was machen wir hier?«, fragte ich keuchend. Mir war speiübel. Er lächelte. »Setz dich zu mir, Amir Aga.«
    Ich ließ mich mit pfeifendem Atem neben ihm auf einem schmalen Streifen Schnee nieder. »Du verschwendest unsere Zeit. Er ist in die andere Richtung geflogen, hast du das denn nicht gesehen?«
    Hassan steckte sich eine Maulbeere in den Mund. »Er wird kommen«, sagte er. Ich rang nach Luft, und er klang nicht einmal erschöpft. »Woher willst du das wissen?«, fragte ich. »Ich weiß es einfach.« »Wie kannst du das wissen?«
    Er wandte sich zu mir um. »Würde ich dich jemals anlügen, Amir Aga?« Mir kam die Idee, ein wenig mit ihm zu spielen. »Ich weiß nicht. Würdest du?« »Eher würde ich Dreck essen«, erwiderte er entrüstet. »Würdest du das wirklich?«
    Er warf mir einen verwirrten Blick zu. »Würde ich was?«
    »Dreck essen, wenn ich es von dir verlangen würde«, entgegnete ich. Ich wusste, dass ich grausam war, genau wie wenn ich ihn verhöhnte, weil er irgendein schwieriges Wort nicht kannte. Aber Hassan aufzuziehen hatte irgendwie etwas Faszinierendes - wenn auch auf eine kranke Art. So als würden wir Insektenfoltern spielen. Bloß war er jetzt die Ameise, und ich hielt das Vergrößerungsglas in der Hand.
    Seine Augen blickten lange forschend in mein Gesicht. Da saßen wir, zwei Jungen unter einem Sauerkirschenbaum, die sich plötzlich ansahen, wirklich ansahen. Und da geschah es wieder. Hassans Gesicht veränderte sich. Nun, vielleicht wäre verändern zu viel gesagt, aber plötzlich hatte ich das Gefühl, als ob ich in zwei Gesichter blickte - das, das ich kannte, das zu meinen frühesten Erinnerungen gehörte, und das andere, ein zweites Gesicht, das unter der Oberfläche lauerte. Ich war schon öfter Zeuge dieses Geschehens gewesen - und es nahm mich jedes Mal mit. Dieses andere Gesicht tauchte einfach einen Moment lang auf, lange genug, um bei mir das beunruhigende Gefühl hervorzurufen, dass ich es möglicherweise schon einmal irgendwo gesehen hatte. Dann blinzelte Hassan, und er war wieder er selbst. Nur Hassan.
    »Wenn du mich darum bitten würdest, würde ich es tun«, sagte er schließlich und blickte mir dabei geradewegs in die Augen. Ich senkte den Blick. Bis zum heutigen Tag fällt es mir schwer, Menschen wie Hassan, Menschen, die genau das meinen, was sie sagen, in die Augen zu sehen.
    »Aber ich frage mich«, fügte er hinzu, »ob du mich jemals um so etwas bitten würdest, Amir Aga.« Und ehe ich mich versah, hatte er mich seinem eigenen kleinen Test unterzogen. Wenn ich mit ihm spielte und seine Loyalität in Frage stellte, dann würde auch er mit mir spielen und meine Integrität testen.
    Ich wünschte, ich hätte diese Unterhaltung nie angefangen. Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Sei nicht albern, Hassan. Du weißt, dass ich das niemals tun würde.«
    Hassan erwiderte mein Lächeln. Nur wirkte das seine nicht im Geringsten gezwungen. »Ich weiß«, sagte er. Und so ist das eben mit Menschen, die alles so meinen, wie sie es sagen. Sie glauben, dass alle anderen das auch tun.
    »Da kommt er ja«, sagte er und deutete zum Himmel hinauf. Er sprang auf die Füße und ging ein paar Schritte nach links. Ich blickte hinauf und sah, wie der Drachen direkt in unsere Richtung herabgestürzt kam. Ich vernahm Schritte, Rufe, eine sich nähernde Horde von Drachenläufern. Doch sie verschwendeten ihre Zeit. Denn Hassan stand mit ausgebreiteten Armen lächelnd da und wartete auf den Drachen. Und Gott - wenn er denn überhaupt existiert - möge mich mit Blindheit strafen, wenn der Drachen nicht direkt in seine ausgebreiteten Arme fiel.
    Im Winter 1975 sah ich zum letzten Mal, wie Hassan Jagd auf einen Drachen machte.
    Für gewöhnlich hielt jedes Stadtviertel seinen eigenen Wettbewerb ab. Aber in dem Jahr fand das Turnier in meiner Nachbarschaft, dem Wazir-Akbar-Khan-Viertel statt, und einige andere Stadtteile - Karteh-Char, Karteh-Parwan, Mekro-Rayan und Koteh-Sangi -waren eingeladen. Man konnte praktisch nirgendwo mehr hingehen, ohne dass die Rede auf das bevorstehende Turnier kam. Es hieß, dies würde das größte Turnier seit fünfundzwanzig Jahren werden.
    An einem Abend in jenem Winter, als der große Wettbwerb nur noch vier Tage entfernt war, saßen Baba und ich beim Schein des Kaminfeuers in seinem Arbeitszimmer in den gepolsterten Ledersesseln. Wir tranken Tee und unterhielten uns. Ali hatte schon das Abendessen

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