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Drachenläufer

Drachenläufer

Titel: Drachenläufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Khaled Hosseini
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serviert - Kartoffeln und mit Curry zubereiteter Blumenkohl auf Reis - und sich mit Hassan für die Nacht zurückgezogen. Baba stopfte seine Pfeife, und ich hatte ihn gerade gebeten, mir die Geschichte von dem Winter zu erzählen, in dem ein Wolfsrudel aus den Bergen Herats heruntergekommen war und alle gezwungen hatte, eine ganze Woche nicht vor die Tür zu gehen, als er ein Streichholz entzündete und beiläufig sagte: »Ob du wohl dieses Jahr das Turnier gewinnen wirst? Was meinst du?«
    Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Oder dazu sagen sollte. Ob ich es damit schaffen würde? Hätte es einen deutlicheren Wink mit dem Zaunpfahl geben können? Ich war ein guter Drachenkämpfer. Eigentlich sogar ein sehr guter. Einige Male hatte ich kurz davor gestanden, das Winterturnier zu gewinnen - einmal war ich sogar unter den drei Letzten gewesen. Aber kurz davor zu stehen, war nicht das Gleiche wie zu gewinnen, nicht wahr? Baba hatte nicht nur kurz davor gestanden. Er hatte gewonnen, weil Gewinner das eben tun, und alle anderen mussten mit leeren Händen nach Hause gehen. Baba war es gewöhnt zu gewinnen - bei allem, was er sich vornahm. Hatte er da nicht das Recht, das Gleiche von seinem Sohn zu erwarten? Und man stelle sich das einmal vor - wenn ich wirklich gewinnen würde ...
    Baba rauchte seine Pfeife und redete. Ich tat so, als hörte ich ihm zu. Aber ich konnte nicht zuhören, nicht richtig, denn Babas beiläufiger kleiner Kommentar hatte mir einen Floh ins Ohr gesetzt: Ich nahm mir vor, in jenem Winter das Turnier zu gewinnen. Mein Entschluss stand fest. Es gab keine Alternative. Ich würde gewinnen, und ich würde jenen letzten Drachen erringen. Dann würde ich ihn mit nach Hause bringen und Baba zeigen. Ihm ein für alle Mal beweisen, dass sein Sohn etwas wert war. Dann würde mein Leben als Geist in diesem Haus vielleicht endlich vorüber sein. Ich gab mich meinen Träumen hin, stellte mir Gespräche und Lachen beim Abendessen vor statt Stille, die nur vom Klirren des Tafelsilbers und einem gelegentlichen Brummen unterbrochen wurde. Ich stellte mir vor, wie wir freitags in Babas Wagen eine Fahrt nach Paghman unternahmen und dabei unterwegs am Ghargha-See Halt machten, um gebratene Forelle und Kartoffeln zu essen. Wir würden in den Zoo gehen, um Marjan, den Löwen, zu sehen, und vielleicht würde Baba nicht gähnen und die ganze Zeit verstohlene Blicke auf seine Armbanduhr werfen. Vielleicht würde Baba sogar eine meiner Geschichten lesen. Ich würde ihm hundert schreiben, wenn ich wüsste, dass er auch nur eine einzige lesen würde. Vielleicht würde er mich Amir jan nennen, wie Rahim Khan es tat. Und vielleicht... aber auch nur vielleicht... würde er mir endlich verzeihen, dass ich meine Mutter getötet hatte.
    Baba erzählte mir von der Zeit, als er an einem einzigen Tag die Seile von vierzehn Drachen durchtrennt hatte. Ich lächelte, nickte, lachte an den richtigen Stellen, aber ich hörte kaum ein Wort von dem, was er sagte. Ich hatte jetzt eine Aufgabe. Und ich würde Baba nicht enttäuschen. Dieses Mal nicht.
    Am Abend vor dem Turnier schneite es kräftig. Hassan und ich saßen am kursi und spielten panjpar, während der Wind die Zweige ans Fenster schlagen ließ. Einige Zeit davor hatte ich Ali gebeten, den kursi für uns aufzubauen, der eigentlich nur ein elektrischer Ofen unter einem niedrigen Tisch war, der mit einer dicken Steppdecke bedeckt wurde. Um den Tisch legte Ali Matratzen und Kissen, sodass bis zu zwanzig Leute daran sitzen und ihre Beine unter die Decke stecken konnten. Hassan und ich verbrachten ganze verschneite Tage am kursi, spielten Schach oder Karten - meist panjpar.
    Ich stach Hassans Karozehn, spielte zwei Buben und eine Sechs aus. Nebenan, in Babas Arbeitszimmer, diskutierten Baba und Rahim Khan mit zwei anderen Männern geschäftliche Angelegenheiten. Einer von ihnen war Assefs Vater. Durch die Wand konnte ich die kratzenden Klänge der Nachrichten auf Radio Kabul hören.
    Hassan stach die Sechs und nahm die Buben auf. Im Radio kündigte Daoud Khan ausländische Investitionen an.
    »Er sagt, dass wir eines Tages Fernsehen in Kabul haben werden«, verkündete ich.
    »Wer?«
    »Daoud Khan, du Idiot, der Präsident.«
    Hassan kicherte. »Ich habe gehört, dass sie das im Iran schon haben«, sagte er.
    Ich seufzte. »Diese Iraner ...« Für viele Hazara verkörperte der Iran in gewisser Weise ein Heiligtum - wahrscheinlich, weil die meisten Iraner, wie die Hazara, Schiiten

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