Drachenläufer
schrecklich bedauerte.
Kurz nach Babas Tod zogen Soraya und ich in ein kleines Apartment in Fremont, nicht weit von des Generals und Khala Jamilas Haus entfernt. Sorayas Eltern schenkten uns zum Einzug ein braunes Ledersofa und ein Service von Mikasa. Der General machte mir ein zusätzliches Geschenk: eine brandneue IBM-Schreibmaschine. Er hatte eine Notiz mit einigen Worten in Farsi in den Karton geschoben.
Amir jan,
ich hoffe, du wirst auf diesen Tasten viele Geschichten entdecken.
General Iqbal Taheri
Ich verkaufte Babas VW-Bus und bin bis heute auf keinem Trödelmarkt mehr gewesen. Ich fuhr jeden Freitag zu Babas Grab, und manchmal lag da ein frischer Strauß Freesien am Grabstein, und dann wusste ich, dass Soraya da gewesen war.
Soraya und ich begannen uns an die Routine - und die kleinen Wunder - des Ehelebens zu gewöhnen. Wir teilten Zahnbürsten und Socken, reichten einander die Zeitung. Sie schlief auf der rechten Seite des Betts, ich bevorzugte die linke. Sie mochte weiche Kissen, ich mochte feste. Sie aß ihr Müsli trocken, wie einen Snack, und ich gab Milch dazu.
In jenem Sommer wurde ich an der San Jose State University angenommen, wo ich im Hauptfach Englisch studierte. Ich begann in einem Möbellager in Sunnyvale als Wachmann zu arbeiten und übernahm die Spätschicht. Der Job war furchtbar langweilig, besaß aber einen beachtlichen Vorteil: Wenn um sechs Uhr abends alle nach Hause gingen und sich die Schatten zwischen die Reihen der mit Plastik überzogenen Sofas schlichen, die bis zur Decke gestapelt waren, nahm ich meine Bücher heraus und lernte. Und in jenem nach Pine Sol duftenden Büro begann ich auch meinen ersten Roman.
Soraya nahm im folgenden Jahr ebenfalls ihr Studium an der San Jose State University auf und schrieb sich zum großen Bedauern ihres Vaters für ein Lehramtsstudium ein.
»Ich weiß wirklich nicht, warum du deine Talente so vergeudest«, sagte der General eines Abends beim Essen. »Wusstest du, dass sie in der Highschool nur Einsen gehabt hat, Amir jan?« Er wandte sich ihr zu. »Ein intelligentes Mädchen wie du könnte doch Anwältin werden, Politologin. Und, inshallah, wenn Afghanistan wieder frei ist, könntest du dabei helfen, die neue Verfassung zu entwerfen. Es wird einen Bedarf an jungen, talentierten Afghanen wie dir geben. Sie würden dir bei deinem Familiennamen vielleicht sogar einen Ministerposten anbieten.«
Ich konnte sehen, dass Soraya sich zurückhielt. Ihr Gesicht wirkte angespannt.
»Ich bin kein Kind mehr, Padar. Ich bin eine verheiratete Frau. Außerdem werden sie auch Lehrer brauchen.«
»Unterrichten kann doch jeder.«
»Ist noch etwas Reis da, Madar?«, fragte Soraya.
Nachdem sich der General entschuldigt hatte, weil er sich mit einigen Freunden in Hayward treffen wollte, versuchte Khala Jamila Soraya zu trösten. »Er meint es doch nur gut«, sagte sie. »Er möchte, dass du Erfolg hast.«
»Damit er bei seinen Freunden mit seiner Anwaltstochter angeben kann. Wieder ein neuer Orden für den General«, sagte Soraya. »Red nicht so dummes Zeug!«
»Erfolg!«, zischte Soraya. »Zumindest bin ich nicht wie er und sitze herum, während andere Leute gegen die Shorawi kämpfen. Er wartet doch nur darauf, dass sich der Staub legt, damit er vortreten und seine feine kleine Regierungsstellung zurückverlangen kann. Unterrichten mag nicht gut bezahlt sein, aber es ist nun einmal das, was ich tun möchte! Mein Herz hängt daran, und es ist übrigens ein ganzes Stück besser, als von der Fürsorge zu leben!«
Khala Jamila biss sich auf die Zunge. »Wenn er dich das jemals sagen hört, wird er nie wieder mit dir reden.«
»Kein Sorge«, stieß Soraya hervor und warf ihre Serviette auf den Teller. »Ich werde seinem kostbaren Ego schon keinen Schaden zufügen.«
Im Sommer des Jahres 1988, ungefähr ein halbes Jahr bevor die Sowjets sich aus Afghanistan zurückzogen, beendete ich meinen ersten Roman, eine Vater-Sohn-Geschichte, die in Kabul spielt. Ich schrieb ihn beinahe vollständig auf der Schreibmaschine, die mir der General geschenkt hatte. Ich schickte einige Kapitel an rund ein Dutzend Agenturen und war verblüfft, als ich an einem Augusttag beim Offnen der Post den Brief einer New Yorker Agentur in den Händen hielt, in dem sie mich baten, ihnen das komplette Manuskript zuzusenden. Ich schickte es gleich am nächsten Tag ab. Soraya küsste die sorgfältig verpackten Seiten, und Khala Jamila bestand darauf, es einmal unter dem Koran
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