Drachenläufer
geträumt, dass ich das Baby einmal in dem Bewusstsein in den Armen halten würde, dass mein Blut es neun Monate lang versorgt hat, dass ich eines Tages in seine Augen blicken und voller Erstaunen dich oder mich in ihm sehen würde, dass das Baby heranwachsen und dein oder mein Lächeln haben würde. Aber ohne all das ... Ist das falsch?«
»Nein«, erwiderte ich.
»Bin ich egoistisch?«
»Nein, Soraya.«
»Denn wenn du es wirklich gern tun würdest...«
»Nein«, sagte ich. »Wenn wir es tun, dann sollten wir keinerlei Zweifel haben und uns absolut einig sein. Sonst wäre es dem Kind gegenüber nicht fair.« Sie lehnte den Kopf ans Fenster und sagte nichts mehr.
Nun saß der General neben ihr. »Bachem, diese ... Adoptionssache ... also, ich weiß nicht so recht, ob das etwas für uns Afghanen ist.« Soraya blickte mich erschöpft an und seufzte.
»Zum einen werden die Kinder größer und wollen wissen, wer ihre biologischen Eltern sind«, sagte er. »Und das kann man ihnen schwerlich vorwerfen. Manchmal verlassen sie das Zuhause, in dem du dich jahrelang abgeschunden hast, um für sie zu sorgen, und suchen nach den Menschen, die ihnen das Leben geschenkt haben. Blut besitzt eine ganz besondere Macht, bachem, das solltest du nie vergessen.«
»Ich möchte nicht mehr darüber reden«, sagte Soraya.
»Eins lass mich noch sagen«, erwiderte er. Ich befürchtete, dass er sich langsam warm redete; wir würden wohl einen der kleinen Vorträge des Generals zu hören bekommen. »Nimm doch nur einmal Amir jan hier. Wir alle kannten seinen Vater, ich weiß, wer sein Großvater in Kabul war und sein Urgroßvater vor ihm. Ich könnte hier sitzen und Generationen seiner Vorfahren zurückverfolgen, wenn du mich darum bitten würdest. Das ist der Grund, warum ich, als sein Vater - er möge in Frieden ruhen - für seinen Sohn um deine Hand anhielt, nicht gezögert habe. Und du kannst mir glauben, dass sein Vater nicht zugestimmt hätte, um deine Hand zu bitten, wenn er nicht gewusst hätte, wessen Nachkomme du bist. Blut besitzt eine ganz besondere Macht, bachem, und bei einer Adoption weißt du nicht, wessen Blut du dir in dein Haus holst. Wenn du Amerikanerin wärest, würde es keine Rolle spielen. Die Leute hier heiraten aus Liebe, der Familienname und die Vorfahren spielen dabei überhaupt keine Rolle. Und so adoptieren sie auch -solange das Baby nur gesund ist, sind alle glücklich. Aber wir sind Afghanen, bachem.«
»Ist der Fisch nicht langsam gar?«, fragte Soraya. General Taheris Augen verweilten auf ihr. Er tätschelte ihr Knie. »Freu dich einfach darüber, dass du gesund bist und einen guten Ehemann hast.«
»Wie ist deine Meinung, Amir jan?«, fragte Khala Jamila.
Ich stellte mein Glas auf das Fenstersims, wo eine ganze Reihe Geranien in Blumentöpfen stand, von denen Wasser herabtropfte. »Ich stimme General Sahib zu.« Der General nickte beruhigt und wandte sich wieder dem Grill zu.
Wir alle hatten unsere Gründe, die gegen eine Adoption sprachen. Soraya hatte ihre, der General seine, und ich hatte diesen einen: dass vielleicht irgendetwas, irgendjemand irgendwo entschieden hatte, mir die Vaterschaft aufgrund der Dinge, die ich getan hatte, zu versagen. Vielleicht war das meine Strafe und vielleicht sogar eine gerechte dazu. Vielleicht sollte es einfach nicht sein, hatte Khala Jamila gesagt. Oder vielleicht sollte es eben genau so sein.
Einige Monate später benutzten wir den Vorschuss meines zweiten Romans als Anzahlung für ein hübsches viktorianisches Haus mit zwei Schlafzimmern in Bernal Heights, einem Stadtteil von San Francisco. Es hatte ein Spitzdach, Holzböden und einen winzigen Garten, an dessen Ende sich eine Sonnenterrasse und eine Vertiefung zum Grillen befanden. Der General half mir dabei, die Terrasse auf Hochglanz zu bringen und die Wände zu streichen. Khala Jamila beklagte, dass wir beinahe eine Stunde von ihnen entfernt wohnen würden, vor allem weil sie glaubte, dass Soraya so viel Liebe und Unterstützung wie nur möglich nötig habe - ohne sich bewusst zu sein, dass gerade ihr gut gemeintes, aber übertriebenes Mitgefühl Soraya zu einem Umzug bewogen hatte.
Manchmal, wenn Soraya ruhig neben mir schlief, lag ich wach im Bett, horchte auf die Tür mit dem Insektengitter, die im Wind aufschwang und wieder zufiel, auf das Zirpen der Grillen im Garten. Und ich konnte geradezu die Leere in Sorayas Leib spüren, wie ein lebendes, atmendes Ding. Diese Leere hatte sich in unsere Ehe
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