Drachenland: Roman (German Edition)
Mehrheit der verschlossenen Bewohner Fandoras misstraute ihm und mied ihn. Für sie bestand das Leben aus dem, was sie dem Boden und dem Meer entreißen konnten.
Amsel wusste sehr gut, dass er bei seinen Landsleuten nicht sehr beliebt war, und die Tatsache ließ ihn, so glaubte er jedenfalls, gleichgültig. Obwohl sie ihm misstrauten, hatten sie ihm nie Schaden zugefügt. Gelegentlich hatte er den Bauern heilende Umschläge und Arzneien für kleinere Beschwerden verordnet und hatte sich so ihre Nachsicht erworben. Manchmal waren Krankheit oder Unglücksfälle seinen »magischen« Kräften zugeschrieben worden, aber der ranghöchste Älteste in Tamberly war ein gerechter und vernünftiger Mann, der es ablehnte, ohne Beweismaterial etwas zu unternehmen.
Nun sah es so aus, als hätte es jemand gewagt, sich dem »Zauberer« in seiner eigenen Höhle entgegenzustellen. Amsel war traurig und wütend zugleich. Er hatte sehr viel Zeit auf Entwurf und Bau seiner Schwinge verwandt, und jetzt hatte man sie ihm gestohlen, und er hatte keine Ahnung, wo er mit dem Suchen beginnen sollte.
Eine ganze Weile saß er in dem Baum und dachte über das Problem nach; jetzt erhob er sich und begann, langsam hinunterzusteigen. Aber bevor er weit gekommen war, hörte er ein Rascheln im Unterholz, ein Klopfen, als hämmere jemand an seine Tür, und eine Stimme, die seinen Namen rief.
»Hier oben!«, rief Amsel.
Er hatte sehr selten Besucher; er konnte sich nicht vorstellen, wer es sein könnte. Die Blätter raschelten wieder, und dann trat der Bauer Jondalrun, einer der Ältesten von Tamberly, auf den breiten Ast. Amsel blickte ihn überrascht an.
Das Gesicht des alten Mannes war verhärmt, seine Augen blickten wild, fast wie im Fieber. Wortlos näherte er sich Amsel und griff ihm mit beiden Händen nach der Kehle. Amsel blickte sich rasch nach hinten um und trat dann vom Ast hinunter ins Leere, fiel zwölf Fuß tief und landete mit oft erprobter Sicherheit auf einem anderen breiten Ast. Jondalrun starrte verblüfft und zornig hinunter zu ihm. »Verräter!«, brüllte er. »Dreckiger Sim!«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Amsel verwirrt.
Jondalrun antwortete nicht. Er kletterte schwerfällig hinunter zu Amsels neuem Sitz und stürzte sich erneut auf ihn. Amsel sprang ihm aus dem Weg und landete mit den Füßen voran auf einem dünnen federnden Zweig, der ihn nach oben schnellen ließ. Er sauste an dem fassungslosen Jondalrun vorbei, packte einen Ast oberhalb des Bauern und ließ sich dort rittlings nieder.
»Jondalrun, was ist geschehen?«
»Du weißt, was geschehen ist!«, rief Jondalrun. »Und du wirst für deine Teilnahme daran zahlen!« Keuchend hob er seinen Stock, um ihn auf Amsel zu schleudern.
Da mit dem Ältesten nicht vernünftig zu reden war, sprang Amsel hinunter, genau vor Jondalrun, und entriss ihm den Stock. Dann schob er den Ältesten rasch in eine aus zwei Ästen gebildete Gabel und klemmte den Stock zwischen Jondalrun und ein Gewirr kleinerer Zweige. Der Älteste saß in der Falle.
»Und jetzt berichte mir«, sagte Amsel, »was geschehen ist.«
Jondalrun fuchtelte mit den Armen, aber ohne Erfolg – der Stock hielt ihn fest. Er trat nach Amsel, aber Amsel wich dem Stiefel geschickt aus. Endlich sprach Jondalrun.
»Du weißt … was du getan hast.« Die Worte des alten Mannes klangen bitter, wurden von Keuchen unterbrochen. »Du hast Johan dazu verführt … deine üblen Tricks nachzuahmen. Jetzt hat er dafür bezahlt … mit seinem Leben!«
Amsel wurde sehr blass. »Johan«, sagte er leise. »Johan hat die Schwinge genommen.« Es leuchtete ihm mit schrecklicher Deutlichkeit ein – Dummkopf, der er war, sonst hätte er es früher geahnt. Die Schwinge hatte den Jungen immer besonders fasziniert, und er hatte Amsel oft um Erlaubnis angebettelt, damit fliegen zu dürfen.
»Ihr Sim seid die Mörder unserer Jugend. Ihr fürchtet euch vor einem offenen Angriff.«
»Jondalrun, was willst du damit …«
»Versuche nicht zu bestreiten, dass du ein Simbalese bist, Amsel! Sie haben dich hergeschickt, um uns mit euren Zauberkünsten zu unterlaufen!« Jondalrun spuckte nach ihm; Amsel wich ihm aus. »Ein Windschiff aus Simbala hat Gordain angegriffen und die Hälfte der Stadt abgebrannt! Ein weiteres hat die kleine Analinna getötet! Und wieder ein anderes hat meinen Sohn aus den Wolken geholt, wohin du ihn geschickt hattest!«
Amsel schüttelte verwirrt den Kopf. Mit Jondalrun konnte man nicht reden – er tobte.
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