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Drachenland: Roman (German Edition)

Drachenland: Roman (German Edition)

Titel: Drachenland: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Reaves
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Amsel beobachtete den alten Mann argwöhnisch, während Erinnerungen an den kleinen Johan ihm durch den Kopf gingen – einer der wenigen Freunde, die der Einsiedler je gehabt hatte. »Jondalrun«, fing er an, »ich hatte keine Ahnung, dass Johan …«
    »Du hast es gewusst! Du hast ihm die falschen Gedanken eingetrichtert! Du hast ihn ermutigt, die Naturgesetze zu brechen, und darum musste er sterben! Ich schwöre es, Einsiedler, ich werde mich dafür an dir und ganz Simbala rächen!«
    Mit einer gewaltigen Anstrengung zerbrach Jondalrun den Stock, der ihn festhielt. Amsel sprang rasch zurück. Sie standen einander gegenüber.
    »Hier kann ich dir nichts anhaben«, sagte Jondalrun schließlich. »Du kennst dich auf diesen Baumwegen zu gut aus. Aber der Tag der Abrechnung wird kommen, Amsel, und deine ganze Zauberkunst wird dich nicht davor schützen.«
    Er wandte sich ab und stieg die hölzernen Stufen hinunter. Amsel blickte ihm nach.
    Das Geräusch von Jondalruns Schritten durch den Wald schwand dahin. Amsel stand still da, regungslos. Der alte Mann war kein Wahnsinniger – Johan war tot. Johan, für den er selbst väterliche Zuneigung empfand, hatte diese Welt verlassen – und es war allein seine Schuld.
    Amsel ließ sich langsam auf dem Ast nieder, legte das Gesicht in die Hände und fing an zu weinen.

4
     

     
    Jondalrun kehrte nach Tamberly zurück. Er lenkte sein Pferd durch die gewundenen Straßen und blickte weder nach links noch nach rechts, kümmerte sich nicht um Geflüster und neugierige Blicke. Die Atmosphäre war gespannt wie die Saite eines Bogens. Eine neu angeschlagene Mitteilung wies auf die bevorstehende Ratsversammlung der Ältesten hin, die erste seit Jahren, die an den »Treppen des Sommers« stattfinden sollte. In alle Städte und Dörfer Fandoras waren bereits Kuriere entsandt worden, sogar bis ins ferne Delkeran an der Westgrenze. Jondalrun machte eine kurze Pause vor der Rathausmauer und blickte stumm auf das Blatt Papier, das sich neben seiner Ankündigung von Johans Beerdigung leicht im Wind bewegte. Dann ritt er langsam zum Haus des Steinmetzen, um einen Grabstein zu bestellen.
    Am gleichen Nachmittag begrub er Johan. Die Sonne stand am wolkenlosen Himmel. Es war hell und kühl – ein Tag, dachte Jondalrun bitter, wie ihn Johan geliebt hatte, mit frischer Luft, die die Wangen rot färbte. An solchen Tagen hatte Johan sich immer mit seiner Arbeit beeilt und war dann mit seinen Freunden in die Toldenarhügel zum Spielen gelaufen. Jondalrun beschloss, ihn auf dem höchsten Gipfel dort zu begraben.
    Es war in Fandora Brauch, die Toten schnell und still zu begraben und später die Beileidsworte anderer entgegenzunehmen. Mit Hacke und Schaufel lockerte Jondalrun den Boden, hob ein tiefes Grab aus und ließ die kleine verhüllte Gestalt behutsam hinunter. Dann stand er am offenen Grab und blickte hinab, immer noch von einem so tiefen Kummer beherrscht, dass er es nicht fertigbrachte, das Grab zuzuschaufeln und sein Kind für immer von Himmel und Sonne zu trennen. Wie die meisten Fandoraner war er gläubig, und jetzt betete er darum, dass seinem Sohn ein ewiger Frühling beschieden sein möge. Nach dem Gebet stand er regungslos da und blickte ins Grab. Es war schwer, sehr schwer, die erste Schaufel voll Erde hinunterzuwerfen.
    »M-Meister Jondalrun …«
    Jondalrun drehte sich um und sah auf dem nahen Felswall, der wie ein Grat über den Hügel verlief, zwei kleine Jungen stehen. Er erkannte sie – zwei Freunde von Johan, Marl und Doly. Sie standen verloren im hellen Sonnenlicht, mit schmutzigen Jacken und Kniebundhosen und tränenverschmierten Gesichtern. Jondalrun blickte sie an und wusste nicht, was er sagen sollte. Es gehörte sich nicht, eine Beerdigung zu stören. Doch er brachte es einfach nicht übers Herz, sie fortzuschicken. Er stand nur da und blickte sie wortlos an.
    Der kleinere der beiden – er wusste nicht mehr, welcher Name zu welchem Jungen gehörte – hielt ein kleines Spielzeug in den Händen. Er hielt es Jondalrun hin.
    »Johan h-hat es mir geliehen«, sagte der Junge. »Es war sein Lieblingsspielzeug, und er hat es mir geliehen. Ich dachte, vielleicht möchte er es jetzt gern behalten.«
    Jondalrun öffnete langsam seine vom Wetter gegerbte Hand, und der Junge legte das Spielzeug hinein. Dann drehten sich die beiden Jungen um, als seien sie froh, einer Verpflichtung nachgekommen zu sein, und eilten, so schnell sie konnten, ohne zu rennen, den Hügel hinunter auf

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